Roger M. Fiedler
Und siehe, bevor ich geboren wurde, öffnete ein Engel eine Schatulle und sprach: "Unter den tausend Arten, deine Zeit zu vergeuden, wähle eine aus!"
Ich antwortete: "Aber Engel, kann ich nicht einen richtigen Beruf bekommen?"
Nun erhob der Engel abermals seine Stimme und deutete auf eine zweite Schatulle bei seinen Worten: "Dann wähle also aus jener Schatulle eine der tausend Arten, die Zeit anderer zu vergeuden!"
Als ich mit dem Schreiben anfing, informierte mich die Krankenkasse über eine in Aussicht stehende horrende Erhöhung meiner Mitgliedsgebühren. Es handelte sich wohl um eine Präventivmaßnahme gegen den Versuch als solchen. Die Vorstellung, dass Schreiben vermehrt zum Eintritt von Leistungsfällen führen soll, leuchtete mir schon damals nicht ein. Später noch weniger.
Man legte mir nahe, beim Arbeitsamt eine Bescheinigung einzuholen, die zur drastischen Rücksenkung der Beiträge nötig wäre, und verursachte damit leichtfertig eine Behördenkatastrophe. Die mittlerweile dritte oder vierte im offiziellen Teil meines Lebens. Der Leiter der Abteilung des zuständigen Amtes in München machte mich zur Schnecke, weil ich mich weigerte, Leistungen in Anspruch zu nehmen, auf die ich keinen Anspruch hatte.
Die nunmehr frischeste Irregularität neben meiner mehrfach ungesättigten militärischen Karriere und den dazu notwendigen formalen Akten hat was mit Sozialversicherungen zu tun, genau gesagt, den dabei auftretenden Nummern. Datenbanken werden gern über Schlüsselsätze organisiert, in denen Unikate aufbewahrt werden. Mich aber gab es zwei Mal im Sozialversicherungssystem. Ich erspare mir Details. Mein jüngster Roman ist autobiografisch genug, um Einblick in die Rahmenbedingungen zu gewähren. Ich habe mir angewöhnt, Fragen zum Verbleib meiner Lebensechtzeit ausweichend zu beantworten. Viel in Cafés herum gesessen - zum Beispiel.
Als Physiker ist man heutzutage ohnehin ein Universaltalent und damit verloren.
Die Sache wird nicht besser, wenn man sich mit Quantentheorie befaßt oder eingehend befaßt hat. Man lernt was über Flecken auf Pullovern und die Seelenverwandtschaft des Hochenergiephysikers mit dem Finanzamtshausmeister. Und ein geradezu Houellebecq'scher Zynismus ist irgendwann unausweichlich, wenn man nicht vorher die Weichen zum Portnoy stellt und ... hm ... Arzt wird im Sommerhaus mit Swimmingpool. Das Ende der Behördenpanne mag im endgültigen Entzug liegen, dem des Menschen aus dem Schriftverkehr und somit vielleicht im vollzogenen Wechsel vom Faktischen zum fiktionalen Fach. Literatur, die die Wahrheit erzählt, will keiner lesen. Das ist die Krux. Man muss als Schriftsteller die Wahrheit meiden wie die Pest. Zudem ist noch die Frage, was Wahrheit überhaupt ist. Insofern lässt sich physikal-logisch retroduzieren: wenn es sich gut verkauft, ist es sicher gelogen.
Der eine oder andere mag hier schon ein Problem schimmern sehen. Die sprachlich elegante Lösung des Profiautors zu all diesen Fragen lautet in einem Wort:
Fiktion
Freunde, Bekannte, Verwandte eines Autors werden immer wieder in seinen Werken nach sich selber suchen. Sie entdecken Ähnlichkeiten und legen sich auf eine der Figuren fest. Dann baden sie in ihrer Enttäuschung, falsch dargestellt zu sein. Zum Trost: das geht allen so, auch den Lesern, die
nicht Freunde, Bekannte und Verwandte sind. Es ergeht selbst dem Autor nicht anders. Ich bezeichne mich daher schon Mal etwas großzügig als den ersten Leser meiner Bücher. Stellenweise der einzige, jedenfalls ein verdienter Luxus, den man sich beim Schreiben erarbeitet.
Als ich an der Konzeption der Chill-Bills arbeitete, war das rundum der Spass an der Sache, morgens als erster/s zu erfahren, wie es weiter geht. Ich hatte vorher als Reiseleiter in Andalusien gearbeitet. Das gibt mir eigentlich nicht das Recht, darüber zu schreiben, denn diejenigen, die den Job wirklich können, sind andere. Aber die Erfahrung inspiriert. Und sie verlief genau nach dem Konzept des Absatzbeginns. Um fünf Uhr morgens grob zu erahnen, was in den nächsten Stunden geschehen wird, hat sich zu einer Konstante in meinem Leben entwickelt. Und daran trägt nicht nur der Hund die Schuld.
Auch die Bahn. Die Eisenschicht. Die tiefgekühlten Brathähnchen auf dem Weg in ihre Lagerstätten. Ich will nicht viel drum herum erzählen. Zur Zeit schreibe ich den neo-Geheimdienstroman und die Krise der Religionen. Zu lesen gibt's das bald
hier. Und in Kontakt bleiben kannst du da:
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Gerichtsverwertbar ist das alles nicht. Im Jenseits des Fiktionalen war mal folgendes behördliche Schnurgerüst eingeschlagen:
Roger M. Fiedler, geboren 1961 in Castrop-Rauxel, Quanten-Physiker, arbeitete als Industrie-müller, Vorwarner, Schaffner, im Jugendamt, Messebau, Physiklabor, zählte an der Uni Stimmen und als Reiseleiter täglich bis 38, würfelte auf Eisenschicht mit Zentnern, schnitt in Bordeaux Merlot und Cabernet, stopfte kluge Zahnbürsten in Blister, programmierte optische Instrumente und räumte Brathähnchen in die Kühltruhen des Discounters Ihres Vertrauens um die Ecke, zeigte Gymnasiasten, wie man schreibt, und Enthusiasten, wie man liest. Wurde als Schüler mit alten Sprachen gefüttert und gönnt sich daher zum Whisky gern mal eine Lektion in php. Als Autor von Kriminalromanen, Romanen, Kurzgeschichten, auch mal einer vereinzelten Theaterinszenierung oder einem Stadtentwicklungskonzept erhielt er Preise und Stipendien ... und die Story goes on. Viel Spass damit!
Euer
Roger M. Fiedler
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