Gute Freunde
In der jüdischen Tradition ist der Mensch lebenslang Schüler. Selbst wenn er lehrt, bleibt er doch seinen eigenen Lehrern als ewiger Schüler erhalten. Ein schöner Umgang, wie ich finde, mit Bildung, die dadurch organisch wird, nie abgeschlossen oder Totholz. In Schreibwerkstätten, die ich für Schüler abhielt, versuchte ich immer wieder, die jungen Leute dafür zu sensibilisieren, wie wichtig die Jahre sind, in denen man diese organische Struktur des Lernens und weitergebens trainiert. Eins habe ich vielleicht zu wenig betont. Das ist die soziale Komponente. In der Schule trifft der Mensch auf Altersgenossen, teilt die Bank mit Unbekannten und erlernt soziale Kompetenz. Noch wichtiger: er schließt Freundschaften.
Gut, das kann man auch im Militärdienst haben. Manöver Munsterlage neben der dicken Berta der modernen Artillerie mit einer Flasche Jägermeister im nassen Schlafsack bei drei Grad plus hebt sich eine gewisse innere Verbundenheit zu Leidensgenossen, die Jahrzehnte überdauern kann. Man trifft Menschen unter den seltsamsten Bedingungen immer wieder und konstruiert ein Geflecht von Sympathien. Aber die Schule ist etwas besonderes, denn sie erschließt die Quellen menschlichen Denkens. Wenn jemand humanitäre Phrasen drischt, wird der traditionelle Humanist an seinen Griechischunterricht denken und an die Kompagnons der Nachmittage im Hebräischsemnar. Dort wurde wirklich der Grundstein für lebenslange Verhaltensweisen gelegt. In den passenden Sprachen.
Herr S. begegnete mir zum ersten Mal in der Gemeinschaftsgrundschule von St. Hubert. Wir waren sechs Jahre alt und erwarteten nicht unbedingt, viel älter zu werden. Herr F. ist der dritte von denen, die zehn Jahre später regelmäßig Skat über ihr neuerlerntes Wissen droschen, und allmählich begreifen lernten, dass Biertrinken nicht alles ist, wenn man einen Grandhand gewinnen will. Skat ist ein Spiel, bei dem es im wesentlichen darauf ankommt, vorauszusagen, was man zu tun gedenkt, und wieviel Erfolg man damit haben wird. Eine gute Metapher für unsere verlorene Existenz.
Jetzt sind doch noch ein paar Jährchen vergangen, und keiner hat vorausgesagt, dass die alten Freundschaften halten würden. Das hat was. Ich komme gerade von Herrn S., der gerade aus Afrika kam. Und das ganze kommt aus einer Zeit wie eine Reise, die man mit dem Kopf antritt und im Schlafwagen der Seele beendet. Das Verkehrsmittel spielt eigentlich keine Rolle,
Herr S. hatte 2.500 Fotos im Gepäck von Elefanten, Giraffen, Zebras, Gnus und Dünen. Ich musste dran denken, wie wir als Kinder durchs 'Bruch' (ein sumpfiges Waldgebiet) streiften, um dort Tiere zu beobachten, von denen er alle Namen und Gewohnheiten kannte. Jetzt also Afrika.
The End of Game, und deshalb erzähle ich das hier, ist so schön doppeldeutig. Game ist Wild, nicht Spiel, und das Highlander-Spektakel läuft in Peter Beards Buch auf ein Monument der Wildheit eines Kontinents und seiner aussterbenden Fauna hinaus, die über etwas mehr als hundert Jahre der Tummelplatz amerikanischer und europäischer Jäger war. Der 'zivilisierte' Mensch hat ja von je her sein Unversändnis gegenüber dem Unbegreiflichen gern mit Gewehrpatronen aus der Welt zu schießen versucht. Herr S. mit dem Fotoapparat.
Während wir also auf unserer Safari sitzen und über den Löwen und die Dunkelheit, Rooseveld, Hatari und Halali-Lounges sprechen, Zigarrendampfend die Sonnenuntergänge am singenden Fluß bewundern und Altbier trinken, wächst der Plan in Livingstons Fußstapfen nach Afrika zum Skat zu reisen. Das sinnvollste, was ich in diesem Jahr angefangen habe, wie ich finde. Bei nächster Gelegenheit bringe ich also ein paar Afrika-Bilder zur Strecke ...
‰