Das Ei
Wenn man nun in irgendeiner Stadt ein Areal kaufte und dort ein monumentales Gelege aus sagen wir drei Eiern erbaute? Jedes der Eier wiese in eine andere, eher zufällige Richtung, wäre aus modernen festen Werkstoffen gefertigt und in der Schale zersprungen. Innen erinnerte das ganze an das römische Pantheon mal drei, nur eben heller, luftiger, organischer. Aber das revolutionäre am urbanen Nest wäre: es diente keinem erkennbaren Zweck, es hätte keine (eben auch nicht alle) Götter. Es wäre einfach da.
Wie lange ginge das gut? ... oder schief, wie man will, denn wenn dem Ensemble ein Sinn innewohnte, den der Architekt verfolgt haben könnte, dann bestünde er in der sozioarchitektonischen Studie mit dem Fragenkern: Was machen sie damit? Und wer?
Jugendliche kämen wohl als erste vorbei, brächten Dope mit, Cans und Boards und man hätte nach wenigen Nächten bis in Armreichweite bunte Graffititags, Wholeeggs Easterdeco und innen das Gesumm der 3-D-Halfpiper. Drei hohle Welten in Konkurrenz mit dem Außen.
Später sehe ich dann die Bauamtsleiter mit Inspektorenblick die Außenseite inspizieren, Höhen für Absperrzäune ausmessen und Vorschriften wälzen, die es erlauben, zwecks Dringlichkeit Ausnahmeregeln zu schaffen, nach denen der baldige Rückbau (Abrissbirne) beschlossen, verkündet und durchgesetzt werden kann, auch wenn noch kein Kostenträger ermittelt wurde.
Ich sehe Penner durch die Zäune krabbeln und sich mit minderjährigen Kids um halbleere Bierpullen streiten, Pettings und Spritzen, die unter verfaulten Matratzen lagern, neben Pornoheftchen von Porsche und BMW-SUVs, geklaute Energydrinks und das eine oder andere 'Mauro & Silvy', aus dem ein Unbekannter später einen Namen zu tilgen versucht hat. Irgendwer hat sogar versucht, ganz oben in achtzehn Metern Höhe sein 'Ady is King' zu inskribieren, 'King' mit c am Ende.
Dann kämpfen vielleicht die Polizisten um die Unversehrtheit der Bauzäune, das Bauamt mit den Paragraphen, Gangs um die Oberhoheit im Ei und eine Initiative Kunst am Bau um den Erhalt der Substanz, während von oben her die Tauben koten und von unten her Fotografen ablichten, was clevere Pizzabäcker in die Graffiti an Werbung reinquetschen konnten. Irgendwann brütet der erste Storch am Ei, ein Künstler vernissiert mit Gemälden auf Basis von natürlichen Pigmenten mit Bindemitteln aus dem Straußenei. Nachts erhellen Lagerfeuer das ovale Innere.
Das Bauamt nimmt die ersten Proben, um sicher zu stellen, dass sich kein Asbest in der Schale befindet. Schulen veranstalten Exkursionen in die Zeit gigantischer pangäischer Reptilien, Hausbesetzer richten sich mit Sofas ein, zimmern Bretterverschläge, erkämpfen urbanen Wohnraum und entdecken archaische Formen des Niedrigenergiehausens. Es rücken Bagger an mit riesigen Meisseln. Das Bauamt weiß nichts davon. Lediglich ein benachbarter Kaufhausbetreiber hat sich zu einem mutigen ersten Schritt entschlossen.
Innen kämpft die Kommune Trilennium um den Erhalt der letzten gesetzesfreien Zone auf Erden, gewaltfrei, bis einer die Macht des Elektroschockers entdeckt und die Polizei Einsatzpläne für die Erstürmung von Eiern entwickelt. Zeitungen sprechen von einem Mahnmal für Fukushima, Tschernobyl und alles, was noch künftig ausgebrütet werden wird. Ostern rückt näher. Apachen und Moskitos kämpfen gegen Sickerwasser. Ein Panflötenspieler entdeckt die grandiose Akustik. Vom Flugzeug aus wirkt das Ensemble, berichtet Bild, obszön. Die Leser der Zeitung starten eine Umfrage zum Wortsinn obszön. Finden Sie das obszön?
Und wie geht's weiter?
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