Violentisierung
Gewaltverbrecher in Fernsehkrimis sind smarte Typen. Durchweg bibelfest wissen sie, Timoteus zu rezitieren, während sie einen riskanten Eingriff bei offenem Thorax vornehmen, um einen Teil des Herzkranzgewebes ihrer nach umgekehrtem Enigmaschema ausgewählten durchweg weiblichen Opfer, deren Geburtstag eine Primzahl war, für ihre Zwölffingerdarmsammlung in Einmachgläsern einzuwecken. Dabei hören sie Wagner oder Bach und sammeln Perkussionswaffen aus der Bürgerkriegszeit.
Der Real-täter ist - tja - ein Sonderschüler dagegen. Er hat keinen Job, sammelt Autowachspoliermaschinen, legt Wert auf Markenkleidung, liest Bild oder Nie - vom ersten die Bilder vom zweiten so gut wie alles. Immer. Und wenn der Nachbar fragt, woher mein Haus, mein Pferd, mein Grundstück, mein Zaun, mein Garten, mein Auto, mein Gott, das alles kommt, dann fällt es vom Himmel, ist hart er-'knufft', er-spart - und alles das gewöhnlich von einem ganz anderen.
Der irgendwo in der Ecke liegt. Mit
Blut im Gesicht. Das alles ist so schrecklich, dass man nun die Hände über dem Kopf zusammen schlagen möchte und die Neuigkeit dieses Ereignisses als Sonderfall verbreiten. Besser nicht. Denn erstens wird man wegen Verleumdung verklagt, wenn man über diesen Sonderfall spricht. Gewalt ist Tabuthema. Darüber darf niemand sprechen. Vielleicht mit dem Psychiater.
Sicher aber nicht mit der Polizei oder den Nachbarn. Spricht man mit den Nachbarn, erfährt man grauenvolles, nämlich, dass auch sie angewiesen sind, nicht über ihre Erfahrungen zu sprechen, die sie mit dem selben Täter hatten. Welche auch schon erfahren haben, dass Vorherige nicht sprechen dürfen über das, was im gesamten Ort schon rum ist. Ein Kinderschänder muss freilich geschützt werden vor Lynchjustiz, klar. Autovandalismus, hm, könnte im Netzwerk der Geschädigten vielleicht besser in den Griff zu kriegen sein. Allerwenigstens jedoch sollten die Behörden registerhaltig arbeiten.
Drei einstweilige Verfügungen gegen eine Person wegen aggressiver Gewalt, ausgeführt mit Waffen oder Gegenständen, zeigen ein gewisses Muster. Serientäter hören nie auf. Einmal deshalb, weil sie nicht anders können: kein Einkommen, kein Auskommen, kein Beruf, keine Chancen, kein Potential. Andererseits, weil die Macht der Gewohntheit die Ohnmacht der Impotenz kaschiert. Wer glaubt, mit Nadeln Macht über Autoreifen zu gewinnen und damit dem Luxusgegenstand per se, der wird seine Nadel pflegen wie ein anderer seine Bibliothek.
Gewalt wird Selbstzweck. Wer nicht mal die Nadel perfekt zu schwingen weiß, der nimmt die Fäuste, und wer damit schwachbrüstig ist, nimmt dann eben den Wagenheber. Auch den legt der, der ihn einmal zur Hand nahm, nicht gern zur Seite. Tja, und hier kommt die Gesellschaft ins Spiel. Denn sie muss ja eigentlich nach unserem Empfinden präventiv und nachsorgend Gewalt aus dem sozialen Kontext entfernen.
Tut sie aber nicht.
Anruf bei der Polizei wegen einer Attacke. Antwort: sind Sie verletzt? Nein? Dann kommen wir nicht. Regeln Sie das unter sich!
Anruf bei der Polizei: Ich bin verletzt. Antwort: Ach, das bisschen Blut.
Anruf bei der Polizei: Ich bin jetzt tot. Antwort: Wie kann das denn?
Unsere Gesellschaft pflegt eine gewisse Toleranz gegen 'körperbetontes' Handeln. Was auf dem Fussballplatz für Abwechslung sorgt, geht auch in gewissen Grenzen im Keller durch. Und solange keiner tot bleibt, geht das ganze ohnehin bis knapp vorm Exitus als leichte Körperverletzung durch. Die behandelt erst mal der Arzt, später das Schiedsgericht. Da kann man dann versöhnlich dem Täter vergeben, damit der nicht mit den Folgen seiner Tat allzu belastet ist. Denn er hat es ja schwer. Mit seinem Kommunikationsverhalten.
Violentisierung ist die Enttabuisierung eines Phänomens, das ohne gültiges Vorhersagemodell kommt und geht wie schlechtes Wetter. Gewalt resultiert aus Aggression, und diese aus Angst und Unvermögen, Komplexen und falsch eingestelltem Selbstwertempfinden. Gewalt MUSS geduldet werden, wenn sie das Selbstwertempfinden breiter Schichten in der Bevölkerung befeuern soll, damit sie kaufen, was das Zeug hält, also Märkte schaffen. Gewalt ist der Untergang des römischen Reiches. Sie ist die Krone der Zivilisation.
Violentisierung ist die Nachricht, dass wir dulden, was uns eigentlich nicht stört, solange wir davon nichts wissen. Es ist aber auch der Moment, in dem dem sogenannten Geschädigten, zu dessen 'Nachteil' Gewalt ausgeübt wurde, bewusst wird, dass er einfach nur zurück prügeln muss. Dann ist die Welt wieder im Lot.
Naja, und da ist die etwas sehnige Verbindung zwischen dem häuslich Kleinen und dem Haus Europa oder dem großen Weltgefüge. Dass wir nicht über Gewalt oder nicht-Gewalt nachdenken, sondern über das Wer-hat-Recht. Dass Gewalt notwendig sei, scheinen wir so verinnerlicht zu haben, darüber denkt kaum noch einer nach. Angemessene Gewalt, heißt es dann. Angemessen ist ein Anzug. Gewalt im Anzug ist das Ende - haben wir gelernt.
Sind wir hier am Ende? Fürs erste sicher. Gelernt? Nix. Außer, dass Gewalttaten bei ganz genauem, oberflächlichen oder halb genauem Hinsehen - eigentlich immer, wenn man nur intelligent genug ist, das zu begreifen: ABSOLUT NICHTS EINBRINGT. Und das versteht der Täter nicht, weil er eben nicht der Nobelpreisträger des Serienmordes ist, sondern der etwas einfach gestrickte Dummkopf von um die Ecke hinter der Garage mit die blaue Tür.
Leider. Denn die CSI Gotham City wird ja doch um einigen Schauwert betrogen, wenn sie aus der realitätsfernen Zelluloidwelt in den Offline-Muff der Nachbarschaft zurück fände. Besser nicht. Und das bisschen Gewalt, ach, das hat noch keinem geschadet. Und wenn, dann ... reden wir nicht drüber!
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