die Visitenkarte der Menschheit
Alles beginnt an einem Zaun.
Es ist schon seltsam mit den Zäunen.
Sie sind Auslöser für so vieles, aber selten ist was gutes dabei. Zäune stehen grundsätzlich an der falschen Stelle, immer. Sie sind immer zu hoch, zu niedrig oder fehlen dort, wo sie dringend stehen müssten. Sie haben die falsche Farbe, sind mit gefährlichen Substanzen imprägniert, mit Selbstschussanlagen ausgerüstet, von Minenfeldern umgeben, halten das Gesindel nicht ab und die gute Laune nicht drinnen, bieten kaum Schutz gegen Maulwürfe, Unkrautsamen und Rechtsstreitigkeiten.
Zäune werden von Hunden angepisst, von Autos beim Einparken verschrammt und von betrunkenen Jugendlichen umgeworfen. Das Vieh rennt sie ein und wird dann tot gefahren. Die Kröten verrecken auf der falschen Seite, der Imperialismus auf der richtigen. Aidsweisen quälen sich dahinter, Wirtschaftsflüchtlinge darüber, Grenzschützer davor.
Zäune müssen bewacht werden, dafür sind sie gemacht. Tag und Nacht, wenn es sein muss, mit dem Spaten. Stünden sie nicht da, müsste man alles das bewachen, was die Zäune schützen müssen, Freiheit zum Beispiel.
Zäune laden dazu ein, nieder gerissen zu werden. Dann wären wir frei. Im selben Moment wird anderswo ein noch höherer Zaun entstehen, denn Freiheit ohne Sicherheit ist ungenießbar, und Sicherheit gibt nur ein höherer Zaun.
Auch wenn sie angeblich für etwas stehen, werden Zäune immer gegen etwas errichtet. Gegen den Wind, gegen den Lärm, gegen die Nachbarn, gegen das Schwarzwild, gegen Eindringlinge, gegen freizügige Sicht, gegen Armut, Bosheit und falsche Hautfarbe, gegen Missbrauch, Ausbruch, Verwilderung, Knospenfraß, gegen Übertragung von Krankheiten, Missverständnisse, Vandalismus, gegen Falschparker, gegen unsachgemäße Abfallentsorgung, gegen unbefugtes Betreten.
Das angeblich einzige menschliche Bauwerk, das aus dem Weltall mit blossem Auge zu erkennen ist: ein Zaun. Der erste Mensch, man möchte wetten, er wurde an einem Zaun erschlagen, mit einem Zaunpfahl aller Wahrscheinlichkeit nach, und wahrscheinlich bei dem Versuch, den Zaun zu missachten.
Eine Historie der Zäune seither ohne erkennbares Ende. Wo wenn nicht beiderseits an Zäunen entlang, wird man die meisten Erschlagenen finden, Gebeine von Tätern und Opfern, mit Blut getränkte Streifen Morast? Begrabene Hoffnungen. Vom Hadrianswall im Norden bis zum Maschendraht der Townships im Süden, von der Fenceline in Guantanamo einmal rund um die Welt spannt sich der Stacheldraht, der offenbar von nimmermüden Maschinen gesponnen, gezogen, geflochten, auf- und abgerollt und schließlich in die Landschaft gespannt wird. Atlantikwall, Maginotlinie, Mauer. Fangzäune selbst unter Wasser, unterirdische Zäune schützen gegen die Wühlmaus und den Diebstahl von radioaktivem Müll.
Zäune sind die Visitenkarte der Menschheit.
‰