Zeitlos II
Das war irgendwo in der Gegend von Clermont-Ferrand. Ich liebe diese Umgebung. Die Tour macht sich dort häufig breit und gurkt über den einzig wahren Berg, den sie dort haben. Es ist der Puy de Dôme. Ein monumentaler Zacken, auf dem die Straße wie an einem Schneckenhaus in einer Spirale klettert. Seit dreißig Jahren waren sie dort nicht mehr drauf, vorher häufiger. Ich wollte das Ding mal aus der Nähe sehen, bin aber wie viele gescheitert. Es lag nicht an meinem Motorrad, es lag auch nicht an mir. Das Wetter war gegen uns. Es war so sehr gegen uns, dass ich schon achtzig Kilometer, bevor ich den Vulkan sehen konnte, in einem Hagelschauer stecken blieb. Im Sommer, Hochsommer. Es ging keinen Meter mehr weiter. Die Luft hatte fünfunddreißig Grad, der Himmel vielleicht genausoviel unter der Null. Inverse Wetterlage nennt man das wohl. Sie hagelte mich von der Maschine und ließ den Boden unter unseren Füßen gefrieren. Da war nur noch weißer Gelee von der Dicke einer Faust. Darunter genauso dickes Eis. Ein Boden, den man am Nordpol erwartet, nicht aber in Südfrankreich auf der Straße. Entsprechend hatte die Gendarmerie die Straße gesperrt. Es ging keinen Meter mehr weiter. Diejenigen, die es wie mich kalt erwischt hatte, stapelten sich auf der Notfallspur. Unbelehrbare versuchten es immer wieder, sich mit ihren SUV’s durch die Katastrophe zu schieben, manche mit Wohnwagen im Schlepp. Sie versteinerten in bizarren Skulpturen kreuz und quer verteilt über die linken Spuren. Die Gendarmen griffen nur deshalb nicht ein, weil sie ihre Autos selbst nicht verlassen konnten. Der Hagel hätte sie sofort erschlagen. Auf dem Motorrad trägt man einen Helm. Der schützt vor dem ärgsten. Aber fein ist es nicht. Ich hatte Wasser in den Stiefeln, und das bis zum Hals. Zudem ein paar Tausend Kilometer in den Knochen. Als es weiter ging, blieb keine große Wahl. Ich musste auf die Autobahn und damit in mein Verderben. Die Franzosen haben Zahlstellen, und die kosten nicht nur Geld, sondern vor allem auch Nerven. Schon unter normalen Bedingungen habe ich mich immer gefragt, wie sie das vorgesehen haben. Aber was sind schon normale Bedingungen? Du fährst an die Schranke, hinter dir ein ungeduldiger Wohnwagenbetreiber. Dahinter kommt vielleicht ein Lkw, und dahinter staut sich die Schlange, während du die Handschuhe von den Fingern rupfst und darunter zitternde blaue Finger findest, die nasse Taschen nach nassen Codekarten absuchen. Der Automat will es so. Und wenn die Pappe dann endlich im Schlitz verschwindet, dann müssen Scheine und Münzen hinterher. Die sind auch irgendwo. Nur nicht da, wo der Handschuh gerade auf den Boden klatscht. Du merkst vielleicht, dass du kaum die Kraft hast, die Maschine auf den Seitenständer zu hieven, was die Warteschlange in Panik versetzt. Dann läuft das Wasser an deinem Körper runter und der Schweiß über deinen Rücken, während dir einfällt, dass du eine Münze zu wenig in der Tasche hast, um den Automaten zu stopfen. Der Rest ist im Koffer. Scheine, große Scheine. Trockene Scheine. Und dann holen dich die Wolken ein, und es kommen die Probleme. Denn jenseits der Schranke patrouilliert ein Gendarm, der selbst keine gute Laune haben kann, weil er im Regen steht. Naja, so irgendwie fangen die Geschichten an, die man vermeiden will, wenn man Nebenstraßen nimmt.
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