Beklemmungen in der Hitzewelle
Ich weiß nicht, ob die KI, die mir meine Startseite im Webbrowser zusammen stellt, dumm und böse ist. Vielleicht ist sie auch nur ein Spiegel. Wenn ich da morgens unrasiert reinsehe, wachsen jedenfalls die Ängste an. Wir haben eine Katastrophe, die mit Worten kaum zu fassen ist. Und sie betrifft nicht nur das Klima. Sie betrifft auch das Klima im übertragenen Sinn. Vom Wandel zeugen fast die Hälfte der Bilder, mit denen die KI meine Leseaufmerksamkeit für diverse Artikel wecken will.
Nun, das Klima wandelt. Aber der Mensch wandelt sich nicht. Von dieser Erkenntnis zeugen nämlich die restlichen Artikel, die sich hauptsächlich um die Frage zu drehen scheinen, wie man nicht die uns bekannte Natur retten kann oder könnte, sondern vielmehr unsere gewohnte Lebensweise. Ich lese von Startups, die schon bald sicherstellen werden, dass unsere Automobilität erhalten bleibt oder wachsen kann. Möglicherweise sogar in die dritte Dimension. Ich lese von Solaranlagen und blau-grünen Wasserstoffen, von Energie ohne Ende, um die Lichtverschmutzung auf Sonnenniveau zu heben. Lese von Einfamilienhäusern, die groß genug wären, um ganze Ortschaften zu beherbergen und fast keine Energie mehr verbrauchen - außer bei der Errichtung und dem irgendwann anstehenden Abriss nebst Beseitigung des anfallenden Sondermülls. Ich lese von Drohnen und Panzern von immenser Schlagkraft und dem entschiedenen Durchgreifen der Polizei gegen Klimaaktivisten. Und der Genderei, die momentan wichtiger zu sein scheint als die bescheidenen Problemchen beispielsweise von Uruguay, wenn dort in drei Wochen der/die/das/x Wasser ausgeht. Zwischen den zwölf apokalyptischen Aposteln dieser Headlines prangen sorgsam verteilt Kaufanreize für Unverzichtbares nebst Ein-Klick-Philosophie des Transportwesens, das die meist völlig nutzlosen Musthaves kostenfrei um die halbe Welt verschifft. Wenn man nur Premiummitglied ist. Als Abschluss finden sich dann Hinweise darüber, wie man mit Influenzerei Unsummen verdient, ohne den Arsch von der Bettkante zu bewegen, weil es dagegen noch keinen (gehen Sie an die Börse!) Vektorimpfstoff gibt.
Manche sagen, der Fortschritt sei unumkehrbar. Dieselben sind es wohl auch, die ganz vorne weg fort schreiten - auf Sänften, die Kolonnen von Mitläufern zu tragen haben. Das Ziel ist allgemein unbekannt, doch der Weg irgendwie vorgezeichnet. Diejenigen, die ganz hinten hinterherkrücken, sehen nur abgegraste, verödete, nicht mehr lebenstaugliche Wüsteneien, die der Fortschritt erzeugt hat und Verbotsschilder, sich gegen das ganze aufzulehnen. Mal im Ernst: hat so etwas ähnliches nicht schon Erich Maria Remarque beschrieben?
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