Der große Regen
Ronda. Andalusien fürchtete, sich zu einem nördlichen Ausläufer der Sahara zu entwickeln, als die letzte Hitzewelle einen Monat früher denn erwartet, über das Land walzte. Zu dieser Zeit bereisten wir die Balearen. Kaum kam ich von der Fähre, ging der Wunsch der Andalusier in Erfüllung, und der große Regen kam. Ich fuhr durch die spanische Toskana nach Baza, dann weiter nach Guadix, um in der Höhlenstadt einen Kaffee zu trinken. Spätestens in Höhe Granada musste ich mein Regenzeug auspacken. Der spanische Motorradsommer hatte eine überraschende Wendung genommen.
Granada liegt hoch und ist von noch höheren Gipfeln umgeben. Mit dem höchsten Festlandsberg haben die Andalusier hier auch einen Gletscher, der mich mit freundlichem Weiß von ferne grüßte, als der Regen immer dichter und dichter wurde. Am zweiten Tag kam ich völlig durchnässt nach Ronda. Jetzt zeigt mir der Wetterbericht eine Regenwoche an. Die Stiefel und die Jacke haben sich von tropfnass zu klammfeucht trocknen lassen, und der Körper mindestens zwei Grad Kerntemperatur verloren. Meine Bikerpläne fallen ins Wasser.
Also sitze ich auf der Terrasse (unter Dach) meiner Freunde und bewundere die sich entladenden Nebelschwaden an den umgebenden Bergflanken. Der Ort ist klein, Ronda keine zehn Minuten entfernt. In nassen Stiefeln dorthin fahren, um einen malerischen Kaffee zu nippen, fällt mir nicht ein. Also gehe ich morgens schon in das Café am Platz und finde dort eine Handvoll mürrisch auf den Fernseher blickender Gestalten vor, die das Wetter ebenso überrascht hat wie mich. Draußen vor der Tür hockt ein Mann mit Schiebermütze und starrt in seinen Zigarettenqualm. Das Leben in Estación de Benaoján ist einfach mal stehen geblieben.
Estación heißt Bahnhof. Ab und an kündigt ein Hupton einen der drei Züge an, die am Tag den Ort passieren. Am Bahnsteig sammeln sich einzelne Leute, die zur Arbeit wollen. Die anderen haben sich unter Dach verzogen. Gestern war Feria im Nachbarort Montejaque. So pausierte auch in Benaoján das Leben. Kneipen und Läden haben sich hinter Rollgittern verbarrikadiert. Jetzt langsam werden sie wieder aufwachen und auf Kunden warten, die zu Hause bleiben, um nicht nass zu werden. Ich rauche und wärme mich am Kaffee auf.
Motorradstiefel immer noch nicht trocken, Körper kann sich nicht zwischen Schlaf und Wachsein entscheiden. Die Tauben gurren den nachlassenden Regen an, Singvögel pfeifen auf die Situation. Ich hänge meinen Erwartungen nach. In Spanien Motorrad fahren. Die Berge von Ronda sind ein Traum, doch der ist verhangen. Bei Regenwetter noch gefährlicher als ohnehin beginnt man, dem Profil der Reifen zu misstrauen.
Die Romantiker des vorvorigen Jahrhunderts müssen solche Tage hier erlebt haben, Inspiration für viele ihrer Werke, genährt von der Hoffnung, dass die Wärme in ihr Herz zurückkehrt. Heute reden wir über Wasserknappheit, Dürre und Brandgefahr. Andalusien atmet auf. Trockene Erde saugt das Nass, Stauseen füllen sich mit frischem Regen, Bäume treiben junge grüne Triebe. Und ich gehe meine Pläne durch. Mehr als aufwärmen bleibt nicht zu tun. Vielleicht gehe ich mal wandern.
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