Ibiza
Die Insel ist eine Insel. Ja, und das heißt, dass man auf einer Insel ist. Wenn man auf Ibiza ist. Und hier ist alles anders. Zum Beispiel das Klima. Wer aus Andalusien kommt, und bei 30° um zehn Uhr nachts die Hitzewelle durchgestanden hat, den erwartet hier mitunter eine feucht-kühle Morgenkeule. Und dann schaut man in den Koffer und vermisst seinen Pullover. Es ist frisch, und dann wird es warm, doch die Luftfeuchte hält sich teils bis in die Mittagszeit, um später am Abend wieder vom Himmel zu fallen.
Fein, denn die Insel wird gerade, da die Saison beginnt, von einer Art kosmischem Herzschrittmacher aus dem Winterschlaf gerufen, der auch uns Reiseleiter trifft wie der Blitz den einsamen Wanderer. Alle Cafés sind zu, selbst wenn sie mit 24/7-Service werben, Busfahrer kennen sich nicht aus, weil sie vom Festland kommen, und der Straßenbau hat just bei Ankunft der ersten Flieger seine Nützlichkeit entdeckt und die Hälfte der Insel in den Reparaturzustand versetzt. Gleichzeitig landen die Junggesellen zum Eimersaufen und die weibliche Noch-nicht-Anhängerschaft, um sich morgens um irgendwann an der Hotelbar zu verlieben.
Die Hollywoood-Romanzen starten im Mai und enden im Oktober, wenn die Diskotheken ihre Pforten öffnen. In der Zwischenzeit müssen die Insulaner ihre Wunden lecken. Das kostet. Geld, Zeit, Asphalt und Nerven. Angekommen auf der Insel, fängt das Geräuspere an, dann wird eine Halsentzündung daraus, und wenn man Pech hat, erwischt es einen richtig. So mich. Man weiß nicht, wie und ob die Klimaanlage in Betrieb nehmen, kühlen oder heizen, die Dunstglocke macht einen Brei daraus, dem man nicht entkommen kann.
Leiden im Paradies ist die Folge. Was die Millionen von Touristen hierher führt und die Nordeuropäer dazu verleitet, den einheimischen Wohnungsmarkt in ein Fiasko zu verwandeln, ist ein Traum, der vor fünfzig Jahren mit den Hippies seinen Anfang nahm. Böse Zungen sagen, auch sein Ende. Die Ursprünglichkeit des Insellebens ist Katalogware geworden. Aber wir sind ihr auf der Spur. Und wenn man erst mal aus Ibiza und Sant Antoni heraus auf dem Land ist, dann sieht man sie noch am Horizont schimmern. In einer Woche hat man von der Insel alles gesehen.
Ich sage alles und meine damit alles. Denn es gibt kaum einen Flecken, in dem „nur noch Einheimische essen, trinken und baden“, der nicht schon im Interenet mit Bildergalerien beworben und mit dem Leihwagen befahren wird, nebst Roller, eBike und Segeljacht. Sobald der Trubel im Gang ist, sehnt man sich nach der Weite der Extremadura und der Leere Kastiliens. Und der Sprache Andalusiens. Hätte diese Insel niemand außer den Phöniziern entdeckt, sie wäre das Paradies. Doch das Geld ist hier angekommen wie Corona vor drei Jahren auf der Welt und hat alles eingestampft.
Glücklicherweise sind wir mit Senioren unterwegs. Und schon wird alles anders. Da wird das Bockshörndl spannend und der Thymianwein und das Salz der Erde. Ibizas Reize liegen eben da, wo man sie nicht sucht. In der vergessenen Insel.
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