Schweigen wie ein Wasserfall
Also, manche Frauen können einfach keine geraden Sätze sagen. Gut, manche Männer kommen damit auch nicht klar, aber da ist meist ein geistiges Defizit dahinter. Bei Frauen ist es nach meiner Erfahrung anders. Hinter ihrem Unvermögen steckt ein kommunikatives Problem, das mann einfach nicht knacken kann. Sandra ist so ein Fall. Eine einfache Frage wie zum Beispiel: Welche Farbe hat denn bei euch der gelbe Sack? bringt alles ans Licht, was an Beziehungsgeschwätz im Ort kursiert, nur nicht eine Antwort wie Blau. Es gibt auch keine Chance, die Sache abzukürzen oder umzuleiten, es ist ein Problem der Verdrahtung im Gehirn. Ich stelle mir eine klassische Filmsituation vor, in der - sagen wir - Shodorow Maximowitsch, der heimliche Lieferant von schmutzigen Atombomben, diese eine Information aus Sandra heraus pressen will. Sie sitzt geknebelt auf einem Stuhl, während Jorgi, der Teufel von Krasni-Schomsky in Sibirien, seinen Lötbrenner auf Temperatur bringt. Jorgi ist der grausamste Foltermeister jenseits des Ural, und er bringt jeden zum Reden. Außer dem Schweißbrenner liegen noch Gartenscheren bereit, Schmiedehämmer, Hufraspeln für Pferdezähne und Spritzen mit allen Drogen aus der Hexenküche des ehemaligen KGB. »Du wirst reden«, sagt Shodorow Maximowitsch und zeigt Sandra Fotos von blutigen Leichen, die grausam verstümmelt in Plastiksäcken eingerollt am Boden liegen, gelben oder blauen - ganz egal. Jorgis letztes Meisterstück traf ein paar kleine Gauner, die Shodorow eine gefälschte Uhr verkaufen wollten. So etwas passiert, wenn man Shodorow unterschätzt. Und Jorgi, den Teufel von Krasni-Schomsky jucken schon die Finger nach einem neuen Meisterwerk. Hollywood-Naheinstellung auf Sandras tränenreiches Gesicht. Shodorow reißt ihr den Knebel aus dem Mund »Ich frage dich nur einmal« sagt er in diesem Tonfall, den alle Exilrussen haben, wenn sie vor der Kamera stehen, selbst wenn sie untereinander Russisch sprechen. Ein Zuschauer im Publikum macht sich vor Angst in die Hose. Nur die Werbepause kann schlimmeres verhindern. Dann presst Shodorow seine Hand auf Sandras Mund und wiederholt: »Nur einmal. Und wenn mir deine Antwort nicht gefällt, dann grillt Jorgi mir deine Zunge zum Frühstück.« Sandra weint, als die Hand von ihrem Mund verschwindet: »Ich sage alles. Alles. Aber bitte …« und Shodorow schlägt sie mit der Faust: »… los, fang schon an!«
»Ja, also, da war diese Zahnarzthelferin, Christine oder Christiane, ich weiß nicht mehr …«
»Komm zur Sache!« knarrt Shodorow wie eine alte Ratsche.
Sandra reißt die Augen auf: »Das wollte ich ja, als Sie mich unterbrochen …«
Bumms, die Faust landet ein zweites Mal in ihrem Gesicht. Sandra hustet: »Jetzt weiß ich nicht mehr … eh … ich glaube es war Dienstag, nein Donnerstag. Wir haben am Donnerstag immer Einkehrtag bei den Schäfern. So nennen wir die Karnevalsgru…«
Klatsch, sagt es aus der flachen Hand von Shodorow, und Jorgi, der Teufel von Krasni-Schomsky nähert sich mit blauer Flamme. Ein Blechfass steht am Boden. Jorgi schneidet ohne weiters ein glühendes Loch in die gewölbte Wand. Die Kamera geht wieder auf Sandras Gesicht. Sandra versucht auszuweichen: »Also die Christina oder wie sie heißt, die hat so einen neuen Nagellack. Manche finden das ja schön, aber ich …« sie weint, als Shodorow erneut die Faust ballt, stottert dann weiter: »… ich weiß nicht, was Sie hören wollen. Ich finde den Nagellack vulgär. Aber weil ja bald Karneval ist, dachte ich … na, ist ja auch egal … also für den Einkehrtag bei den Schäfern …«
Jorgi kommt mit der Flamme näher, versengt Sandras Augenbrauen. Sandra schreit überhastet: »… sie hatte den Nagellack von dem neuen Studio in Buxtehude Unterstadt. Da wo vorher der Grillmaxe drin war. Der hat Pleite gemacht, weil der Vater war ein Säufer, das wusste der halbe Ort, und die Frau ist mit jedem ins Bett. Also nicht mit …«
Jorgi verschmurgelt ein fingerbreites Stück Fleisch an Sandras Hals. Sie fällt kurz in Ohnmacht, rappelt sich wieder auf: »Bin ich tot?«
Shodorow schreit sie ungeduldig an: »Das bist du gleich, wenn du mir nicht einen Namen gibst. Sofort.«
»Meyke« schreit Sandra verzweifelt.
»Also hat diese Meyke die Kombination zu dem Schließfach, in dem das Geld für den Deal liegt? Meyke und wie weiter?«
»Ich glaube Söhnlein oder Fräuken, ehrlich, ich weiß es nicht.«
»Und diese Meyke hat, was wir wollen?«
»Was wollen Sie denn?«
Der Brenner flammt erneut auf. »Die verdammte Kombination«, schreit Shodorow.
»N-n-nein«, sagt Sandra. »Meyke ist doch tot. Ich meine, darum haben sie doch damals die Wirtschaft aufgegeben. Und alles. Das war echt eine Schande, weil da konnte man noch richtig herzhaft essen. Aber … das wollte ich ja garnicht erzählen. Sie haben mich ganz durcheinander gebracht, jetzt habe ich den Faden verloren.«
»Hilf ihr, ihn wiederzufinden!« befiehlt Shodorow und wischt sich mit so einem weißen Taschentuch aus Damast den Speichel vom Mund, wie es die Oberfiesen immer im Bond benutzen. Sandra quäkt dazwischen: »das Nagelstudio. Das hat erst letzten Dienstag aufgemacht, deswegen komme ich drauf. Wegen dem Nagellack. Ich meine, das kam mir gleich seltsam vor, dass der … also, wer lässt sich schon am ersten Tag in einem Nagelstudio mit so einer Vergangenheit … die Nägel machen, und dann auch noch so?«
Shodorow fasst sich ans Herz. Das alte Leiden aus dem Tschetschenienkrieg. Damals haben sie Terpentin getrunken, weil sie keinen Wodka mehr hatten. Jorgis Gaskartusche geht zur Neige. Sandra heult: »Also das sah echt Scheiße aus. Zu den Haaren! Da habe ich sie gefragt, wer ihr neuer Freund ist.«
Shodorow fasst sich und schaut Sandra aufmerksam ins Gesicht: »Ihr neuer Freund? Das ist unser Mann?«
»Ich glaube, der ist Russe.«
Shodorow steckt sein Taschentuch weg: »Ein Russe? Geht das auch genauer?«
Sandra: »Ich glaube. Ich glaube, er ist Russe. Also wissen tue ich das ja nicht. Aber wer will schon eine Frau mit solchen Fingernägeln?«
…
Naja, was soll ich sagen? Nach drei Stunden wankt Jorgi benommen aus der Werkstatt, weil er zu viele Abgase eingeatmet hat, Shodorow liegt mit Herzversagen tot am Boden, und Sandra kommt auf den Punkt: »Jetzt weiß ich’s: es war Dienstag. Denn da geht Maxi immer mit dem Bernardiner raus. Das ist ein schöner Hund. Nur sabbern tut der, wo er geht und steht. Also mir käme der nicht ins Haus. Ich stehe mehr auf Katzen.« Natürlich weiß Sandra nichts von Kombinationen, außer dass ihr Chef, also der zweite, der alle Arbeit macht, aber so schlecht bezahlt ist - die Welt ist echt undankbar - … hallo, ist da wer? Hört mich jemand? Hallo! Hal-lo!«
‰