…. endlich Santiago
Gabi hat mal wieder geholfen. Ich konnte ein Bett reservieren, was mir den Druck wegnimmt. Ganz entspannt gehen wir abends auf die Fiesta und sehen zu, was es dort zu essen und trinken gibt. Die Fiesta beginnt nämlich erst um elf, und um zehn schließt die Herberge. Um neun schenkt mir der Barmann den ersten Gin-Tonic ein, eine halbe Stunde später sitze ich (wir!) mit Steffi und Peter aus Würzburg an einem der Holztische und betrachte mit Vergnügen, was man mir hinstellt: Pulpo. Den habe ich vor langer Zeit einmal gegessen und danach nicht mehr. Jetzt weiß ich, warum mir die Galizische Spezialität damals nicht geschmeckt hat.
Das hier ist ein Gedicht. Sie haben ihn abgekocht und dann klein geschnitten mit Marinade frisch auf einem Holzteller serviert. Dazu gibt es das berühmte Brot aus der Umgebung. Und Wein, den man aus Porzellanschalen trinkt. Das Weißbrot scheint Anteile von Sauerteig zu haben, ist schmackhaft und krustig. Ohne das ließe sich die Marinade schlecht aufnehmen. Der Wein ist schwer, herb-säuerlich und liegt nahezu schwarz in den weißen Schalen. Er hinterlässt einen feinen Schlier auf dem Porzellan, der stärker färbt als rote Beete.
Die Fiesta rollt den ganzen Abend über uns hinweg wie ein schweres Gewitter. Der Platz wird so voll, dass man glaubt, eine Kleinstadt hätte sich eingefunden Bis morgens um fünf Uhr spielt Live-Musik, und dann geht es - leider - auf die letzte Etappe nach Santiago. Wieder zwei Stunden Fußweg bis zum nächsten Café, wieder Landstraße und Orientierung am Handy. Immer mehr Pilger erscheinen auf den Wegen und stöckeln sich zum Ziel ihrer Reise. Die eine oder andere Kapelle liegt am Weg, mal ein Bach, ein Brunnen, es geht auf und ab und plötzlich gibt eine Gasse ins Tal hinunter den Blick frei auf die Türme der Kathedrale.
Die letzten Meter. Sie vergehen wie in einer Trance, eine letzte Brücke, ein letzter Anstieg, und dann stehe ich vor der Innenstadt, deponiere mein Gepäck im Hotel und mache mich auf, um im Pilgerbüro die Credencial vorzuzeigen. Im Austausch stellt man mir dort eine Urkunde aus, die mir bestätigt, dass ich den Weg gegangen bin.
Noch habe ich die Düfte der Feld- und Waldwege in der Nase, Weihrauch-artiger, trockener Eukalyptus, noch die schweren Kilometer in den Beinen, bin auf die Stadt nicht eingestellt, die irrsinnige Anzahl der Pilger, die aus allen Richtungen eintreffen, Cafés, Hotels, Kneipen, Restaurants, quere ich den Platz vor der Kathedrale, als Gruppen uniformierter Pilger eintreffen, singend und jubelnd. Überall sitzen sie auf dem Steinboden und lächeln fröhlich in die Sonne. Handys schwenken in alle Richtungen, man hat den Eindruck, meistfotografierte Fassaden zu betrachten. Im Pilgerbüro ein anerkennendes Lächeln, als mir der Sekretär an Platz 5 die 1007 Kilometer beurkundet, die ich gelaufen bin. Der letzte, der wichtigste Stempel von Santiago passt nicht mehr in meine Credencial. Er kommt auf den Umschlag. Geschafft.
Draußen treffe ich Steffi und Peter wieder, sehe andere bekannte Gesichter, lasse mich auf zwei mächtige Mahou-Biere einladen und bin völlig entspannt. Das war es also. Das war der Weg. Schon ein paar Stunden später ist alles aus dem Kopf, all die staubigen Kilometer, die einsamen Momente, die Frustrationen und Sorgen und die kleinen glücklichen Augenblicke. Nur der Schmerz in den Beinen begleitet mich durch die Nacht. Ich bin tatsächlich zu müde, um in die Stadt zu gehen. Auf dem Hotelbett schlafe ich am frühen Abend ein und sacke in genauso flüchtige wie intensive Träume. Geschafft: Santiago de Compostela!
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