Estación de Lalín
Quälerei. Elende Quälerei an diesem Morgen. Es geht los mit den Fahrradtouristen, die um fünf Uhr die Herberge aufmischen, ihr Geraffel zusammen kramen und dann unter großem Getöse in der Küche Ei braten. Die Peregrinos im Schlafsaal versuchen sich mit dem Kopfkissen die Ohren zu bedecken, doch die vier Gesellen in der Küche geben keine Ruhe. Als einer anfängt, mit dem Klodeckel zu würfeln, rolle ich mich aus dem Bett, schnappe den Rucksack und ziehe los. Es ist so dunkel, dass man ohne Laterne nichts sieht, und die Piste geht eine gefährliche Stunde an der Straße entlang. Danach führt mich ein Abzweig auf einen düsteren, steinigen Weg mit starkem Gefälle und starker Steigung durch den Wald.
Ich denke an Frühstück und erlebe das Déjà-vu des ewigen Suchens mit leerem Magen. Wo war das noch? Hinter Tábara, stimmt. Zudem seiht ein Niederschlag vom Himmel, den man kaum als Regen bezeichnen, aber auch nicht auf Dauer ignorieren kann. Der Körper kühlt zunehmend aus. Ortschaften kommen und gehen ohne ein Anzeichen von Leben. Eine einsame Kirche steht verloren an einer Hauptstraße. Dort setze ich mich für einen Moment hin und versinke in düsteren Visionen, raffe meine letzten Reserven zusammen und quäle mich in eine Ortschaft, von der ich mir einen Kaffee erhoffe. Doch auch dort nichts.
Dann weiter bis an einen Ort, wo man wenigstens das bekommt. Das Café ist eher was für ältere Damen. Törtchen und Gebäck. Ein Blick auf die Karte zerrt an den Nerven. Halb tot und nichts geschafft, kaum was im Magen, und die Meilensteine scheinen die Kilometer nicht runter- sondern rauf- zu zählen. Die Beine schmerzen arg, und doch muss ich weiter, um wenigstens eine Essenspause machen zu können. Ich gehe. Doch es kommt keine Gelegenheit. Immer geht es weiter und weiter. Dann die Entscheidung, ich muss mir wehtun, um irgendwie aus der Situation raus und vom Fleck zu kommen, lege einen Schritt zu und kämpfe gegen den Schmerz. So geht es bis um ein Uhr.
Dann endlich ein Lokal. Scheint, als hätte ich Estación de Lalín erreicht. Ohne Wasser mit leerem Magen 25 km gelaufen. Einzig schön die Düfte im feuchten Holz, als hätte man frisch Minze geschnitten, dazu Heu und Eichenholzrinde. Ich schütte mir auf der Terrasse zwei Tonica in den trockenen Magen und gehe ins Lokal, um zu essen. Xouva, frittierte Sardinen (Anchovis?) und Pollo al Ajo, Huhn mit Knoblauch, auch frittiert, dazu Weißwein. Drei Viertel der Flasche, und es läuft wieder rund. Das Lokal heißt Vento, 12,50 Euro stehen auf der Rechnung.
Nach einer weiteren Stunde bin ich in Laxe, habe mein Bett in der Herberge und nur noch 50 km bis Santiago. Dann die Überraschung. Die Herren, die in den Betten schnarchen, völlig erschöpft von ihrem Weg, sind die Radfahrer, die morgens um fünf in Cea so viel Lärm veranstaltet haben, als rüsteten sie zur letzten Etappe nach Santiago direkt. 33,5 km geschafft - na, wahrscheinlich haben sie ihre Räder geschoben. Rückwärts mit angezogener Bremse.
Wir sind hier an einer Auffahrt zur Autobahn. Nur ein Lokal in der Nähe, in dem ich meinen Gin-Tonic verputze. Ah, Krönung eines Tages, den ich mir anders vorgestellt hatte. Vor einiger Zeit noch glaubte ich, fünf Kilogramm verloren zu haben, jetzt glaube ich, es sind zehn.
Beim Duschen vermied ich nach Kräften, in den Spiegel zu sehen. Man sieht mir die zwei Monate auf der Straße an. Zumindest direkt nach der Etappe. Später richtet sich der Körper ganz allmählich wieder auf und zeigt sich robuster. Aber der erste Eindruck von einem Häuflein Elend sitzt tief. Heute habe ich kein einziges Foto gemacht. Gleich mal nachholen!
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