Salamanca
In der Nacht Donnergrollen. Ein trockenes Gewitter entlädt sich über der Stadt. Es lässt einen Schleier von Wolken zurück und macht die Luft muffig und dunstig. Inzwischen begreife ich die Grundzüge des Stadtplans und kann einen kleinen Rundgang genießen. Für diese Nacht habe ich die Herberge gewechselt. Der Tip von Esmeralda in Plasencia scheint sich zu bestätigen. Das Hostal namens Revolutum wirkt sehr freundlich. Es liegt im oberen Bereich der kleinen Innenstadt, direkt neben der Plaza Mayor und dem dortigen Palast. Das Revolutum nennt sich die andere Unterkunft für Backpacker. Scheint gut anzukommen. Der Schuppen ist voll. Kaum bin ich in der Nähe, kommt ein Platzregen herunter.
Ein Museumstag sollte mir guttun. Die Wahl fällt nicht leicht, denn die Stadt ist einfach zu vielseitig und zu groß, um alles oder nur einen Überblick haben zu wollen. Die Entscheidung fällt zugunsten des Museums für Artdeco und Jugendstil. Ein Volltreffer. Aus dem Museum möchte man gar nicht mehr herauskommen. Dann lasse ich mir noch ein gutes Essen schmecken und sitze bei einer Zigarre unter der Markise, auf die einzelne Regentropfen platschen, als wäre es Programm. Wie der Pianist an einer Bar.
Gut, ich hatte mir von der Karte die zwei Bestandteile herausgesucht, die nicht mit Fleisch und Schwein verbunden waren, und bekam einen sehr guten Salat mit Ziegenkäse und einen Krabbencocktail. An den Salat hat es der Koch noch geschafft, geröstete Schinkenstreifen zu applizieren. Das Schwein scheint hier Grundnahrungsmittel zu sein wie andernorts Brot, Nudeln oder Kartoffeln. Man kann ihm nicht entgehen. Was mir hier allmählich immer besser gefällt, ist der Kaffee. In Salamanca hatte ich schon drei Mal das Gefühl, aussergewöhnlich leckeren Kaffee zu trinken. Sowohl der con leche als auch der solo, also Cappuccino oder Espresso sind aromatischer, als ich es gewohnt bin. Man könnte eine kulinarische Kaffeereise beginnen. Was ich beginne, ist eine Art innerer Inventur. ein paar Kleidungsstücke sind bereits in den Abfall gekommen, über den Schlafsack denke ich intensiv nach. Den Hut konnte ich auch nicht mehr ertragen, klebrig und gelbrandig, wie er war. Es ist Nachmittag. Die Stadt ruft, und ich höre nicht hin. Stattdessen brennt der Hostalgutschein für die Hausbar in der Tasche.
Ein Gin-Tonic mit Zimt sprang am Abend dabei heraus. Am nächsten Tag habe ich es endgültig geschafft, mich von zwei Kilogramm Kleidung und Ausrüstung zu trennen. Gefühlt ist das nichts, aber es erleichtert. Ich habe eine Nacht verlängert, denn das Knie spielt nicht mit. Kann unmöglich so auf die nächste Etappe. Gestern war ich noch im Kino, habe mich an die Errungenschaften schnell wieder gewöhnt. Da merkt man dann gleich viel stärker, wo die Probleme stecken. Allmählich kommt der Zeitpunkt, an dem ich mir Gedanken machen sollte, was ich eigentlich will, außer mich körperlich zu Grunde zu richten. Und, mit Rücksicht auf die Preise in Salamanca, das Bankkonto zu schröpfen. Ich bin, so viel ist sicher, an dem Teil Spaniens interessiert, der hinter - also nördlich von - Zamora kommt. Dort, lese ich heute in der Zeitung, haben die schlimmsten Brände dieses Sommers gewütet. Gerade fragt mich eine Freundin, ob ich im September eine Reiseleitung übernehmen möchte. Damit hätte ich mir den ganzen Spaß schon rückwirkend finanziert. Ein Thema der Reise, die Mauren in Spanien, wird allmählich zur Leidenschaft. Davon kann man nicht genug kriegen. Ich denke, ich nehme das an.
Ein gutes Stück über die Hälfte des Weges nach Santiago de Compostela liegt hinter mir. Hätte ich ein klares Ziel gehabt, müsste ich jetzt eigentlich Bilanz ziehen. Ich hatte dieses Ziel nicht. Erst jetzt spüre ich einen leichten Zug zum Wallfahrtsort, vielleicht um nach allen Strapazen und Erlebnissen doch irgendwann einmal irgendwo anzukommen. Physisch anzukommen. Der Weg als Ziel hat sich schon längst in meinem Leben verankert. Die Vorstellung im Gegenteil, jeden Tag in das selbe Bett zu steigen, jeden Morgen am selben Ort aufzuwachen, die selben Menschen zu treffen, das selbe Wetter zu beklagen, wird mir zunehmend fremd. Wie muss ein solcher Ort sein, um dich zufrieden zu stellen? Gibt es das überhaupt? Eine Frage, die sich jeder selbst beantworten muss, und noch dazu wahrscheinlich im Stillen. Man könnte sonst jemanden verletzen.
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