Dein Stab und Stock geben mir …
Man hätte ahnen können, wie der nächste Morgen mich antraf. Als hätte ich nicht geruht, entstieg ich dem Bett, schlurfte zwei Tassen Kaffee, putzte mich und die Wohnung und ging. Zum Glück hatte ich am Tag zuvor noch die Via Verde entdeckt, eine ehemalige Bahnlinie zum Pass nach Béjar hoch, der ich am Vormittag mit mäßigem Tempo folgte. In Baños de Montemayor dann die Erlösung. Zurück am Jakobsweg finde ich auf Anhieb die Dokumentationsstelle für die Via de la Plata und darin eine geöffnete, freundliche Herberge. Und immer noch sitzt mir der Schreck in den Knochen. Ich denke darüber nach, einen Pilgerstab zu kaufen. Unten am Ort sah ich welche für fünf Euro. Hätten sie noch einen schicken Hut dazu gehabt, hätte ich meine Glaubwürdigkeit gern und entschieden aufgebessert. So sitze ich im Café am Platz und rauche.
Das Café / die Bar Carlos ist eines, wenn nicht das soziale Zentrum des Ortes, zumindest am Abend. Ich sitze dort abends schon zum zweiten Mal, und das hat einfache Gründe. Zum ersten ist es nämlich so, dass ein Tennisball, den man an meiner Herberge vor die Tür werfen würde, zielstrebig die schmalen Gässchen hinunter rollen würde und nach etwas mehr als fünf Minuten in der Bar Carlos ankäme. Inzwischen kenne ich den Ort recht gut und habe das Gewirr der Gassen entschlüsselt. Baños de Montemayor ist in eine Spalte an den Hang geklebt. Am Kopf der Spalte, wo früher die Ölmühle war, ist heute ein Naturschwimmbad, etwas weiter unten fanden die Römer Thermalquellen, die noch heute mit einem prächtigen Gebäude überbaut sind. Dort liegen an der Durchgangsstraße einige mondäne Hotels, die allerdings bessere Zeiten gesehen haben. Baños muss einmal eine große Bedeutung gehabt haben, liegt es doch direkt vor dem Pass nach Kastilien. Doch dann kam die Autovía, und inzwischen ist das Örtchen in einen Dornröschenschlaf gesunken. Man sieht allerdings dem Ort seine Historie noch an.
Vor der Herberge wurde ein Schild aufgestellt, das die Architektur der Häuser hier oben erklärt. Es sind massive Erdgeschosse, die etwas leichtere Obergeschosse trugen. Konstruktives Material für die Obergeschosse war Kastanienholz. Es musste nämlich ausdauernd sein, um die schweren Dächer zu tragen. Baños de Montemayor erlebt über das Jahr gesehen extreme klimatische Schwankungen.
Die Winter müssen ebenso hart und kalt sein, wie die Sommer heiß sind. Entsprechend werden die Häuser beschaffen - und die Menschen. Im Obergeschoss, heißt es auf der Tafel, seien häufig offene Räume gewesen, um Früchte zu trocknen. Weil das Kastanienholz stark und zäh ist, konnte es auch Balkone gut tragen. Die gesamte Ortschaft erscheint als ein Getüpfel aus weissen Fassaden, schwarzen Fenstern und Balkonen, roten Dächern und dem Grün von allerlei Bäumen und Topfpflanzen.
Die Herberge betreten heißt offenen Mundes staunend hinter eine Eingangstür zu gelangen. Denn die Fassaden der Häuser verbergen gern, wie wohnlich das Innenleben ist. Diese Herberge hat alles von einem Luxushotel und nebenbei, ich erwähnte es schon, ein kleines Museum zur Via de la Plata. Ein Garten schließt sich im Untergeschoss an die dortige Bar an, und hier sitzt man in einem frischen Ambiente mit gutem Rundumblick und sieht seiner Wäsche beim Trocknen zu. Ich habe unten in der Bar meinen Gin-Tonic getrunken, bin erfrischt und wehmütig, weil es morgen dann irgendwann weiter gehen wird. Ein unvergesslicher Abend. Als ich wieder zurück gehe, etwas müde den Hang hinauf, immer dahin, woher die Tennisbälle rollen würden, habe ich einen nagelneuen Pilgerstab in der Hand, der allerdings wirkt, als sei er schon einmal um die Welt gewandert.
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