Kletterpartie Hoch—Tief
Sonntag Morgen, ausgeschlafen, gefrühstückt und Wanderschuhe an den Füßen. Vom Tal des Jerte zum Rio Ambroz sind nur ein paar Kilometer Luftlinie. Aber es liegt ein Bergrücken dazwischen. Der nächste Pass ist der Puerto de Honduras. Den will ich mal - ohne Gepäck - suchen. Es ist nämlich per Karte nicht leicht, sich da oben zu orientieren (… und später wird sich zeigen, dass es sich auch an Ort und Stelle nur schwer navigieren lässt). Weil wir ja nominell im Urlaub sind und keine Eile haben, lasse ich mir Zeit für meine Exkursion und kraxele zwei Stunden lang stramm bergan. Der Pass liegt in 1.500 Metern Höhe, von Cabezuela aus ein Kilometer vertikal in den Himmel. Nach den beiden Stunden stehe ich in einem Gewirr von Ziegenpfaden, die durch ein Labyrinth von Thymian und Steinen führen. Das alles auf einer schiefen Ebene, die allmählich auf mich wirkt, als liefe ich zwischen eingetrockneten Farben einer Künstlerpalette als winzige Ameise über eine buckelige Piste bergauf, bergab. Denn jemand hat die Palette an den Hang gelehnt und ist vor langer Zeit gegangen. Das Gemälde, an dem er gearbeitet hat, muss den Farbresten nach in der Provence spielen, irgendwas in Ocker, Terrakotta, Blau und Braun. Vielleicht ein verbrannter Baumstumpf in einem Feld aus Lavendel mit einem schwarzen Zicklein, das unter fernen Bäumen bimmelt. Das alles wäre unproblematisch, bestünde der Boden nicht aus losem Geröll. Es ist ein Uhr, als ich wieder ins Tal hinunter steige und Wegpunkt für Wegpunkt den Fehler suche, der mich in die falsche Richtung führt. Ja, mit Rucksack darf dir das nicht passieren.
Erster August, ein Montag. Der Höhe- und der Tiefpunkt meiner Wanderung sind gekommen. Ich bin spät gestartet, kam aber gleich gut voran. Den gestrigen Fehler konnte ich auf halber Strecke zum Pass ausmachen. Dort verweist ein Holzpfahl auf die Stelle, wo man den Weg verlassen und schnurstracks in den Wald abzweigen muss. Das Handy nutzt dort oben nichts, denn man bekommt keinen Empfang. Daher hatte ich in einer Wanderapp über Nacht die Karten herunter geladen, und als ich jetzt vor dem Waldstück stehend die App starte, sagt mir das Handy, dass der Download ohne Angabe von Gründen gestoppt worden war. Also kein Kartenmaterial. If you want a job done right, do it yourself. Ich schlage mich ins Gebüsch, durch Farnwälder, über Schluchten, perlende Bäche, durch Lavendel, über Pfade, die aus Scherben von Granit bestehen. Es klimpert und klirrt in der beängstigend stillen Bergwelt. Ich wünsche mir eine Leiter. Es geht steil bergan. Ab und zu erscheint mal ein Vogel, der vom Himmel herunter äugt, das eine oder andere Panorama zwischen den Flanken einer Schlucht bis ins Jertetal hinunter, dann wieder nichts als Einsamkeit. Mein Handy taugt noch dazu, die Höhe über Meer zu messen, die Zeit abzulesen und Fotos zu knipsen.
Es ist schon über Mittag, als die letzten zweihundert Höhenmeter anstehen. Ich bin guter Dinge, weil es von dort nur noch bergab geht. Die Wanderkarte auf der Ortstafel von Cabezuela del Valle sprach von insgesamt 11,5 km bis nach Gargantilla. Wer diese Zahl erfunden hat, und warum, ist ein Rätsel, das mich später noch ausreichend beschäftigen wird. Am Pass angekommen, werde ich mit einem herrlichen Panorama belohnt. Da oben habe ich die elf Kilometer schon verbraucht. Weil ich völlig schmerzfrei bin und genügend Kraft in den Beinen spüre, entschließe ich mich oben, ins nur 6,5 km entfernte Hervás zu gehen, denn es soll ein wundervolles Städtchen sein mit einer ausgedehnten Judería. Ich gehe also los und prüfe nach etwa einer Stunde mit meiner App den Fortschritt, da hier wieder Netz zu empfangen ist. Die Kartenapp nennt mir 4,4 km. Die Aussicht, bald schon am Ziel zu sein, beschleunigt meine Schritte. Und als ich eine Stunde später wieder - diesmal ungeduldig auf das Handy schaue, behauptet es, dass ich jetzt nur noch etwas mehr als neun Kilometer hätte. Vom Ortsrand Hervás bis dahin, wo sich Hotels befinden, seien es nochmals zwei. Und das mobile Gerät wirkt ziemlich überhitzt. Ja, was für ein Cliffhanger … nur leider real.
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