Kirschen

Endlich habe ich es auch einmal geschafft, mich ordentlich zu rasieren. nennen wir es Auslichten. Gleich morgens weiter in das Tal des Jerte hinein. Daher kommen die Kirschen. Sobald man über den Stausee hinaus ist, säumen Kirschbäume die Ufer. Rundherum ist alles grün. Ein ungewohnter Anblick. Der Ort, in dem ich mich eingemietet habe, Cabezuela del Valle, erinnert an Provinznester im Piemont. Ein Rundgang durch den Ort endet an der Eremitá, die auf einem Köpfchen thront, die Cabezuela ihren Namen gab. Cabezuela ist das Köpfchen. Hätte an der Eremitá umkehren können, aber ein Pfad führt weiter hinauf und hinauf zwischen Feldsteinwänden über einen felsigen Weg in die Kirschberge. Das Gekraxel bringt mich an einen romantischen Punkt, an dem man es mit einer guten Brotzeit aushalten könnte; wenn’s sein muss, einen Monat. Man sieht bis nach Plasencia hin und in den anderen Richtungen auf Bergrücken, die sich zum Oberlauf des Jerte hin an einem Paß treffen. Dort geht es nach Madrid und somit nach Kastilien. Ich bin hier knapp vor der Regionengrenze angekommen.

Der Jerte selbst ist ein Gebirgsbach. Auch jetzt noch im Juli führt er ausreichend Wasser, um munter über sein Quarzgestein zu plätschern. Klar und voller Fische, wird er an beiden Ufern von einer baumbestandenen Zone flankiert, die zum Dasein einlädt. Ob man sich nun einfach ausruhen, baden, fischen oder nur in die Landschaft glotzen will. Alle Wünsche sind erfüllt.

So entspannt setze ich mich in eine schmale Gasse neben der Kirche und warte bei einem Gin-Tonic darauf, dass die Rezeption öffnet. Meine Freundin aus Ayamonte hat für mich die Reservierung gemacht. Ihr Mann Rod hatte mich unterwegs benachrichtigt, dass ein Ort, an dem Tonic ohne Gin auf dem Tisch stünde, unmöglich das Paradies sein könne. Rod ist Engländer. Man kann ihn verstehen. Also muss ich gleich mal ein Foto expedieren. Nach dem zweiten Erfrischungsgetränk, das die Umgebung auch für Rod vervollständigt hätte, nimmt man mich in der Judería del Valle von Cabezuela auf und gibt mir, ich kann es nicht glauben, Zimmer B3. Be free! wird sofort zur Maxime, und ich buche statt einer Nacht zwei. Dann liege ich auf meinem Bett und blicke zum niedrigen, kleinen Fenster hinaus durch das Jerte-Tal, über mir eine bucklige Holzdecke, im Kopf kein Gedanke mehr als ein einsilbiges Wort: schön.