Einen Eispickel
Man soll nicht alles glauben, was Einheimische sagen. Sie wohnen schließlich zu Hause.
Als ich den Block umrundet habe, was angesichts der Größe des mittelalterlichen Bauwerks nicht einfach ist - zudem gehört auch eine Kirche dazu - lese ich am mächtigen Portal den Anschlag, auf dem eine Telefonnummer angegeben ist. Man solle dort anrufen. Ich tue es. Und eine Viertel Stunde später begrüße ich Melani: Du glaubst nicht, wie froh ich bin, dich zu sehen. Sie sieht mir die Strapazen an, die mich hergeführt haben. Als wir das Gebäude betreten, wollen mir die Tränen fließen. Ich bin in einem Palast untergebracht. Dort treffe ich am Nachmittag auf Inés aus Mérida, die als Köchin für das Rote Kreuz arbeitet. Sie wohnt in der Herberge, wie Walter ständiger Gast in Zafras Konvent ist. Für 17 Euro pro Nacht ist auch mein Entschluss schnell gefasst:
Hier bleibe ich tatsächlich. Wenn nicht für den Rest des Lebens, so doch für mindestens drei Nächte, bis ich wieder ordentlich laufen kann. Nach kurzer Zeit weiß ich, wo die Insel ist, auf der man die Siesta verbringt, wie man zum Münzwaschsalon „StarWash“ gelangt, und wo man mittags stylisch einen Gin-Tonic auf getane Arbeit und überstandene Mühen nippen kann. Plasencia habe ich sofort in mein Herz geschlossen.
Der Jerte-Stausee liegt nur fünf Kilometer von Plasencia entfernt. Man spaziert einen Saumpfad den Jerte entlang und auf der anderen Seite wieder zurück.
Ohne Gepäck ist das ganze ein Ausflug ins Paradies. Überall Wasser. Kaum zu glauben, wieviele glückliche Episoden Wasser erzählen kann, wenn man einfach nur in das klare, plätschernde Nass starrt. Obwohl der Ort nun wirklich keine maurischen Bezüge hat, geht einem die Vision einer Oase in der Wüste nicht aus dem Kopf.
Beduinen, die nach langer, durstiger Strecke durch den Sand ein mächtiges Stadttor passieren und drinnen auf einen Wasserspeier treffen. Auf dem Weg zum Stauwehr liegt ein verlassener Hof. Gleich kommt mir der Gedanke, dort Kamele zu halten. Man könnte sie zwischen Plasencia und Casar de Cáceres verkehren lassen, um den Pilgern das harte Los der Landstraße zu ersparen. Eine tüchtige Geschäftsidee. Vielleicht hätte ich mir bei dem Spaziergang einen Hut aufsetzen sollen.
Inés hat mir ihr Rezept für Salmorejo verraten. Salmorejo ist die Cordobesische Variante des Gazpacho, kalter Gemüsesuppe. Es geht so: Fünf Kilo Tomate, ein Liter gutes Olivenöl, ein Kilogramm trockenes Brot, Salz und vier Zehen Knoblauch. Die Zutaten werden püriert und durchgeseiht, dann gekühlt. Nicht gerade spektakulär, ist Salmorejo wie der Gazpacho eine Wohltat und bei den momentanen Bedingungen nicht nur Nahrungsmittel, sondern fast schon Medizin. Das einfachste Essen ist meist auch das beste. Im Lädchen um die Ecke suche ich nach der flüssigen Kaltspeise, doch dort gibt es nur Süßigkeiten. Dafür hat mir Inés noch ein paar nützliche Details über das Wetter mitgegeben. Wenn nämlich der Winter kommt, meint sie, hat die Umgebung ihre Tücken. Vor allem Autofahrer leiden unter der schlagartig kondensierenden Feuchte der Luft. Durch das Netz von Gebirgsbächen kommt es in der kalten Jahreszeit zu so dichten Nebeln, dass man - wie sie meint - einen Eispickel brauche, um sich da durch zu arbeiten.
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