N-630 und kein Ende
Diese Tankstellen haben einen eigenen Charme. Allerdings ist er schwer zu entdecken. Es sind Familienbetriebe. Und sie haben bessere Zeiten gesehen. Als die Via de la Plata noch Nationalstraße war, mögen hier hoffnungsvolle junge Leute einen schicken Restaurantbetrieb gegründet haben, in dem man übernachten konnte und gut essen, sich stärken für die Weiterreise.
Heute flankieret die Autobahn die Carretera, und die Autovía wird ihrerseits von einer Schnellstrecke der Eisenbahn überholt. Wer hier noch anhält, ist mit dem Lkw unterwegs oder Bauarbeiter. Das Personal ist müde und überdrüssig, zuweilen stumpfsinnig hinter der Theke geworden angesichts der Kolonnen Erschöpfter, denen ein Bett wie jedes andere erscheint und abends jedes Essen schmeckt. Die Zimmer sind daher muffig, Installationen heruntergekommen. Klimaanlagen arbeiten schlecht und lärmen viel, und die Breitbildfernseher an der Wand zeigen die üblichen Netflix und Co. - Kanäle. Irgendwo steht angeschlagen, wie man das Wifi nutzt, der Schlüssel dazu wirkt wie der zum Abtritt am Gang. Nachts kehren Familien hier ein, die weiter nach Afrika wollen. Sie würden auch im Auto schlafen, doch da gibt es keine Toiletten.
Zunehmend fällt auf, wieviele mauretanische Franzosen hier Rast machen auf ihrem Heimweg zu den Familien. Kopftücher und Französisch in überladenen Fahrzeugen zeugen vom modernen Nomadenleben einer nach billigen Arbeitskräften hungrigen Europäischen Union. Die Menschen quälen sich über tausende von Kilometern in ihre Heimatländer und nach dem Sommer dann wieder zurück. Bei Cáceres war mir aufgefallen, dass es dort an einer Tankstelle in einer verwaisten Hundehütte von einem Wohnwagen einen Verkaufsstand gab, der tatsächlich Fährtickets nach Tanger anbot. Es sind Zonen, die man mit dem Auto gern schnell passiert. Wäre ich mit Auto oder Motorrad unterwegs, hätte ich auf den letzten fünfzig Kilometern wahrscheinlich nicht angehalten, um ein Butterbrot zu essen oder einen Kaffee aus der Thermoskanne zu trinken. Die Gegend gibt es einfach nicht her. Mehrere mühselige Stunden liegen noch vor mir, zwei mühselige Tage liegen zurück.
Dann plötzlich ändert sich schlagartig die Umgebung, und es taucht ein Schild im Morgendämmer auf: Naturpark Monfraguë. Die Strapazen haben ein Ende, als sich die Silhouette von Plasencia unter der aufgehenden Sonne zeigt. Dahinter die beeindruckenden Kämme der Sierra de Gredos. Man ahnt es schon: Alle Mühsal des asphaltierten Umwegs haben sich gelohnt. Ich bin sofort guter Dinge.
Hier bleibe ich, entscheide ich spontan, schon bevor ich die Stadt wirklich betreten habe. Plasencia hat knappe 40.000 Einwohner, aber der Ortskern zieht sich über Kilometer vom Kreuz der Autovía und der Autobahn nach Portugal in das Tal des Jerte hinein. Am Ortseingang betrete ich die erste geöffnete Bar, es ist gerade neun Uhr, und fülle mich mit Wasser auf. Die Repsol-Tankstelle, an der ich gestartet war, hatte nämlich geschlossen, so ging meinem Körper nach einigen Wegstunden doch allmählich das Wasser aus. Nach diesem nassen Frühstück zieht es mich die lang gestreckte Avenida in den Ort hinein, beständig auf die Kathedrale zu, die auf einer mächtigen Festungsmauer thront. Links und rechts erstreckt sich eine lebhafte Industrie- und Geschäftszone, wie ich sie hier in der vermeintlichen Einöde nicht erwartet hätte. Das Tal des Jerte wird von zwei Bergkämmen flankiert. Der schmale Fluss schneidet sich schnurgerade von Nordost nach Südwestn in die Schlucht.
Auf der östlichen Seite, der Sierra de Gredos erhebt sich der Almansor, mit über zwei-einhalb Tausend Metern ein beachtlicher Gipfel. Entsprechend klar und verlässlich strömt das Wasser des Rio Jerte auf den Ort zu und umrundet ihn unter einer Brücke, von der aus man durch ein mittelalterliches Stadttor die Innenstadt betritt. Das in Stein gemeißelte Märchen wartet mit engen Gassen, Mauern, Erkern, Balkönchen, Spitzdächern, Zinnen, Torbögen und einer Plaza Mayor auf, die dem wesentlich größeren
Zentralplatz in Cáceres an Charme mindestens ebenbürtig ist. Schrecken ereilt mich noch einmal, als ich eine ältere Dame nach dem Eingang zur städtischen Herberge Santa Ana frage. Wir stehen auf der Rückseite des Gebäudes. Die Dame antwortet entschieden: Ja, die hat zu.
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