Fiesta del Tuero

Casas de Don António ist ein winziger Ort am Rande des Stausees. Man überschreitet am Ortsrand die alte Steinbrücke und findet morgens niemanden vor, der sich in die Sträßchen verirrt hätte. Ein Mann tritt glücklicherweise auf das Pflaster, als ich vor dem Kirchenportal stehe. Ich frage ihn nach einem Café, woraufhin er im ortsüblichen Tonfall „15 Minuten“ antwortet, den Wortlaut nachzuahmen, traue ich mir nicht zu. Ich folge ihm um einige Ecken, wo er tatsächlich eine versteckte Bar aufschließt und mir einen Frühstückskaffee hinstellt. Dann rauchen wir in der Morgensonne. Nach und nach treffen seine Lieferanten ein, denn die Bar ist gleichzeitig auch Supermarkt. Brot, Getränke, Gemüse wandern nacheinander in das Lädchen, was auf gute Umsätze schließen lässt. Man sieht es dem versteckten Winkel nicht an. Jeder, der dort etwas anliefert, begrüßt den Chef des Hauses mit einem schwungvollen „¡Que Calor!“ - Was eine Hitze! Dabei ist es noch kühl.





Ölmühle bei Casas de Don António
Mich erwarten zwei Stunden Weg nach Aldea del Cano. Weiter will ich heute nicht gehen. Es liegt vor den Toren von Cáceres. Ein schmaler Weg folgt den römischen Spuren, erkennbar an übrig gebliebenen Meilensteinen. Im Mittelalter scheint sich die Spurweite der Wege verengt zu haben. Römische Brücken sind mehr als doppelt so breit wie das, was unterwegs noch vom Mittelalter zeugt. Grob gepflasterte, steil aufwärts und dann wieder hinunter führende Steinpassagen über ausgetrocknete Bäche. Auf der parallelen Nationalstraße sind viele Radfahrer unterwegs. Es ist die Zeit der Tour de France, am Sonntag werden die Profis in Paris ankommen. Spanien fiebert auf aktive Weise mit. Jedesmal, wenn mir einer der Radler begegnet, Fußgänger oder Spanier hinterm Gartenzaun, und mir einen guten Weg wünscht, denke ich darüber nach, wie der Gruß eigentlich respektvoll zu erwidern ist „¡Buen Camino!“

Die Nacht werde ich in einem kleinen Ort vor Cáceres verbringen. Aldea del Cano hat eine Straße, eine Kneipe und einen Supermarkt. Grundausstattung. Kann noch mehr geben, aber bis in die Tiefen des Örtchens gelange ich der Hitze wegen nicht. Die Kneipe heißt Las Vegas. Neben der Herberge ist das örtliche Altenheim. Auf der anderen Seite der Friedhof. Ich versuche mir das Leben der Menschen vorzustellen, die hier alt geworden sind. Eine Handvoll von ihnen sitzt auf der Terrasse des Las Vegas und raucht. Es ist von der Straße die Rede, denn sonst gibt es hier nicht viel zu erzählen. Das herauszubekommen, kostet schon einigen Aufwand, denn die Extremeños hier herum reden, als hätten sie keine Zähne. Die Straße ist ein höllischer Bypass der Autobahn, und gehört als solche wohl für gewöhnlich den Anrainern und den wenigen, die sich für einen Pausenkaffee von der Schnellstraße herunter bewegen. Einzige Attraktion bis nach Cáceres scheint laut Karte eine Repsol-Tankstelle zu sein. Ungute Vorahnungen sammeln sich in meinem Bauch, als einer der Zahnlosen einen trockenen Witz über die Lippen bringt. Etwas kühl heute Abend, was?, sagt er zu seinem Nachbarn.

Aber dann kommt alles anders und der unscheinbare Ort zeigt doch noch seine versteckten Stärken. An der Plaza Mayor, des winzigen Nestes verstecken Kindergartenkinder Papierkneuel unter einer Decke, über ihnen hängen Strickdeckchen, und Musik spielt. Äste liegen auf den Wegen herum, und die Eltern der Kinder blicken stolz auf das Geschehen. Grund genug, einmal nachzufragen, was denn da vor sich geht. Das sei eine Vorbereitung, sagt mir die Verkäuferin im zweiten Supermarkt - es gibt nämlich zwei - für ein Fest, das sich Fiesta del Tuero nenne. Ich muss dreimal nachfragen, verstehe dann in etwa den Ablauf. Die Jugendlichen, wenn sie erwachsen werden, gehen aufs Feld und gucken sich einen möglichst fetten Baumstumpf aus. Dieser wird dann am 15. August in einem eigenen Event vom Feld geholt und auf die Plaza Mayor gebracht. Am 24. Dezember wird der Stumpf verbrannt, aber bis dahin muss er bewacht werden. Das Fest mit über zweihundert jähriger Tradition soll als Kulturgut der Extremadura bewahrt werden, die Kinder lernen, dass diese Tradition unsere Umwelt schützen und bewahren hilft.

Ich stehe mit dem Gazpacho im Supermarkt und versuche, diese Geschichte aufzusaugen, müde wie ich bin, lächelt die Verkäuferin und weist mich darauf hin, dass morgen - nach einer Fiesta, die heute Nacht steigen wird, - morgen Gazpacho auf der Straße serviert werden wird.