Meine erste Buchmesse
Meine erste Buchmesse: ein Desaster. Ich steige aus dem Zug und fahre mit dem Bus zur Messe – nicht ahnend zu diesem Zeitpunkt, dass die Bushaltestelle zu Fuß genauso gut oder schlecht zu erreichen ist wie die Messe selbst. Dort dann Unkenntnis über meinen Status als Besucher, Fachbesucher, Aussteller, Presse, sonstige Kategorie. Dann spuckt mich eine Glastür in einen Innenhof, von dem aus Beschilderungen wie Software-Versionen in alle Richtungen gehen. Halle 7.6, stabile Version, zum Download für Gehtüchtige durch Aufzug oder Treppe.
Man stellt sich auf ein endloses Förderband, das ein bißchen so wirkt wie die Landschaftsfresser in Braunkohleabbaugebieten: Förderbänder, die einen irgendwohin karren, wo man entweder in ein dunkles Ofenloch fällt (Hölle oder Pizzabude oder Hinterausgang), oder aber mangels Orientierung irgendwann entkräftet einfach liegen bleibt.
Man beginnt, dreidimensional zu denken, denn vieles spielt sich auf Ebene zwei, drei, vier oder dazwischen ab. Man erkennt, bevor man noch den ersten Ausstellungsstand gesehen hat, dass man sich ganz am Anfang einen Plan über die Lage der Toiletten hätte aushändigen lassen sollen.
Dann steigt man wieder auf dieses Förderband (via mobile) und mobilt sich durch den Schlauch. Die Luft wird trocken, man begegnet durch Zufall einem, den man kennt, und der in Gegenrichtung ... weg. Man versteht das schreckliche Schicksal Schiffbrüchiger an fremden Gestaden, man telefoniert sich das Ohr heiß, um zu erfahren, wo Norden, Osten, Süden und die einzige Cafeteria sind, die einen Pappkaffee für weniger als einen Monatslohn ausschenkt. Und der schmeckt dann nach Brühwurst.
Man lädt sich seine Schuhsohlen an elektrostatischen Teppichen auf, kriegt das Knirschen dieses Kondensators nicht mehr aus dem Kopf, überlegt, ob vielleicht ganz Frankfurt mit diesem elektrischen Kraftwerk betrieben werden kann, und wie wohl ein Kaffee schmecken würde, wenn man statt Kaffee, den Staub filtern würde, der einem inzwischen die Nasenscheidewände verklebt.
Man sieht, das ist das schlimmste, kein einziges Buch. Man sieht ... ah, endlich: Kollegen. Und Verlagspersonal, das nach einer Woche Dauerstehen mit Sekt und Fotohandy drei Wochen Urlaub brauchen wird. Man sieht eine Pappwand mit nichts dahinter als Pappwänden. Man sieht Menschen, die sich alle Mühe geben, erfolgreich, glücklich und super kreativ zu erscheinen.
Und man sieht andere, die sich ausdauernd an Schwerlastalkoholika unter der Papptheke bedienen. Kollegen, für die es eben zum Image gehört, oder die sich den Staub hinunter spülen müssen. Man sieht aber auch die Trauben von Besuchern, die einen sensationell kurzen Blick auf ihre Idole erhaschen wollen.
Live! Ein Interview mit dem Autor und dem Buch zum Film, das jetzt mit Schauspieler sowieso und Moderator und Kamera davor. Verfilmt. Bestseller. Weiter. Klatsch, eine Glastür im Gesicht. Auch das ist Messe, Brand- und Katastrophenschutz und der beschilderte Weg zum Ausgang. Die Versuchung ist riesig.
Dann steht man mit seinem Agenten an der Wurstbude und redet über den und über jene und verscihert sich gegenseitig, dass man sich einmal in Ruhe unterhalten müsse, weil beide Gesprächspartner nicht nur eine trockene Wurst im Gesicht, Senf am Kinn und den Blick starr auf die nächst erreichbare Uhr gerichtet haben, sondern auch ein hartnäckiges Klingeln im Ohr. Man nennt das Messetinitus. Der kommt vom Hunger, vom Staub, vom Lärm und von der inneren Leere.
Und dann spuckt einen das ganze wieder aus, man geht noch in einer der Frankfurter Kneipen was Italienisches essen, weil jeder dem anderen beweisen will, dass er das Nightlife kennt und zu schätzen weiß. Und weil das so ist, sind diese Orte knacke voll und man steht irgendwo im Durchgang, bis ein anderer geht. Und dieser andere, der dann gerade geht, ist der oder die, die man eigentlich schon lange mal, aber passt jetzt gerade ganz schlecht. Mist sowas.
Aber auf einen Wein reicht es noch, dann schafft man so gerade noch seinen letzten Zug, der inzwischen, doch das weiß man nicht, über Posen umgeleitet wurde, weil es in Hanau einen Totalausfall gab. Von was auch immer. Wo auch immer dieses Hanau liegt oder was auch immer das ist.
Und wenn man dann wieder raus ist, denkt man nur: jetzt schnell ein paar Beweisfotos posten, auf denen viel gelacht und froh in die Linse geblinzelt wird, damit später niemand sagen kann, ich gehörte nicht dazu, wäre nicht dabei geweesen. Naja, das war meine erste Messe. Inzwischen läuft das anders. Emm, anders. Nicht besser. Anders.
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