Biker oder nicht?
Nach meiner Rückkehr habe ich jedenfalls neue Wanderschuhe, die Diskount-Latschen, die ich bislang unter den Füßen hatte, tun mir nicht so gut, wie sie sollten. Im Konvent herrschen die passenden Temperaturen, um die Auffahrt der Tour de France nach Alpe d‘Huez zu verfolgen. Warum machen wir das, was wir tun? frage ich mich angesichts der Quälerei in Frankreich und beim Anblick der völlig zerschundenen eigenen Füße. Handtellergroße Blasen brennen und leuchten in allen Farben, aus der Nase quillt immer noch Staub von den wenigen Kilometern heute. Warum bleiben wir nicht einfach zu Hause und fächeln uns kühle Luft über das Bier? Ja, es fällt mir keine Antwort ein. Nur die Erkenntnis, dass man sich nicht zu sportlichen Herausforderungen reizen lassen darf. Sobald man sich das Korsett der Etappen auflegen lässt, verfliegen alle Reize der Landschaft und es zählt nur noch das Ankommen und der Unterkunftsstress. Es gibt nichts zu gewinnen, nicht einmal Anerkennung.
Warum also tue ich mir das an? Dieser Gedanke ging mir heute einige Male durch den Kopf. Vielleicht besteht die größte Leistung darin, unter allen Verpflichtungen und Zwängen das Gefühl dafür wieder zu entwickeln, was man eigentlich selbst gern will. Und das dann auch zu tun. Oder es zu lassen. Ein Schlüsselwort dazu wird Vertrauen sein, denn Vertrauen muss man entwickeln, um Vor- und Sorge in den Hintergrund zu stellen. Vorsorge lässt dich so schnell es geht in die nächste Herberge rennen, den Blick nicht vom Ziel lassen, früh aufstehen, auf jedes Glas Wein verzichten, lieber einmal schlafen gehen, wo das Nachtleben eines kleinen Städtchens ruft. Man beißt die Zähne zusammen und verkneift sich alles, was den Weg interessant machen könnte. Dafür wäre mir meine Zeit zu schade. Ich will hier sein und nicht hier gewesen sein. Ein wenig erinnert das ganze ans Surfen. Wahrscheinlich entscheidet das Gefühl für den Augenblick über Himmel oder Hölle.
Erfahrungen auf dem Camino. Ich bin mir in diesem Augenblick bewusst, Binsenweisheiten zu notieren, aber es ist vielleicht gerade deshalb für mich so persönlich wichtig, weil es eben die Erfahrung des Camino an sich ist, die ich hier mache. Das Gleichgewicht zwischen Geben und Nehmen finden, die Ruhe im Augenblick und das Vertrauen auf den Mitmenschen. Gestern unterhielt ich mich noch mit Walter, dem verrückten Italiener, der in Portugal lebt. Er erzählte mir von den schlechten Straßen, die er morgen Abend überwinden muss, um über das Wochenende nach Hause zu kommen. Unter der Woche arbeitet er in Zafra als Mechaniker.
Weil er mir die Manschette gegeben hat, die mein Knie vor dem übelsten bewahrt und sich schon gut bewährt hat auf den Spaziergängen nach Los Santos de Maimona, frage ich ihn, wie ich mich denn revanchieren kann. Er erklärt mir, dass wir Biker uns untereinander helfen müssten, das wäre Naturgesetz. Und dann zählt er mir auf, wo überall in seinem Körper Schrauben stecken. Der alte Spruch kommt wieder zum Vorschein, auf Spanisch: „A partir de las cuarenta si te levantas por la mañana y no te duele nada eres muerto.“ - Ab vierzig, wenn du morgens aufstehst und dir nichts wehtut, bist du tot.“
Der Bursche besteht nur noch aus Schrauben und Platten, habe ich den Eindruck. Ein richtiger Biker müsse dauernd stürzen, sonst wäre er keiner. Darauf kann ich nur bescheiden zugeben, dass ich keiner bin. Der letzte Unfall, den ich produziert habe, fand im Stehen statt, weil die Sitzbank der Geländemaschinen doch sehr hoch ist, und die Maschine am Boden liegt, wenn du abschüssig auf Schotter den Seitenständer nicht schnell genug draußen hast. Alkohol war auch im Spiel.
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