Das 13. Monatsglück
Sei, was du bist - sagt Ramana Maharshi. Als Weiser muss er wissen, wie man glücklich wird. Das ist allerdings nicht ganz so einfach, auch wenn es auf den ersten Blick so scheint. Glücksverheißung ist ja schon fast Genreliteratur. Die glückliche Scheidung, Glückspille, Liebesglück, das Glück auf dem Rücken der Pferde und im Schwesternzimmer der Schwarzwaldklinik, Glück hinterm Steuer, Glück mit der Steuer, Glück im Spiel, Pech mit Hieben ... Glück ist ein Geist, den jeder schon mal irgendwo erahnt oder gesehen hat - oder zumindest kennt jeder einen, der einen kennt, der das Glück auch kennt. So ähnlich wie Königin Elisabeth. Ich habe sie auch noch nicht getroffen, aber ich kenne Leute, die alle Leute kennen, die alles über sie wissen. Und die schreiben sich die Finger wund über Royals oder das Glück an sich.
Wenn man sich allerdings die Mühe macht, im Bekanntenkreis herum zu fragen, was denn Glück in Wahrheit ist, dann wird es eng - oder philosophisch. Die Enge bildet sich ab in Formulierungen, die mit einer Einschränkung beginnen: "Für mich ist Glück ..." - was von ehrlichem Nachdenken zeugt. Alltags-Philosophen dagegen verfallen dann schon mal in Plattitüden, die mit der Nase im Rasen enden: "Geld macht nicht glücklich, aber glücklich-ER". Er was?
Jemand, der zwei Quellen anzapft, das Süßwasser und den Bitterfluß, hat da vielleicht einen ausgeglichenen Standpunkt. Ich rede von einer Kraft, die im sozialen Umfeld tätig ist und dort das Elend der Welt von Grund auf studieren kann, andererseits aber auch die positive Seite im heimischen Umfeld, unter Freunden und denjenigen genießt, die eben als soziale Stützen sehr viel Positives weiter geben -müssen- und das Tag für Tag. Was denkt sich zum Beispiel eine Pflegekraft, die Demenz 'behandelt'?
Hallo, wer sind Sie? Ach, Sie sind der freundliche Herr, der mich heute morgen aus dem Bett geholt hat! Schön. Darf ich eine rauchen? - Aber du hast dir das Rauchen doch vorigen Herbst abgewöhnt! - Was, wirklich? So ein Mist!
Glück ist ...
... wenn ich morgens alleine auf der Autobahn bin.
... wenn ich in die Augen meiner Kinder sehe.
... wenn alle gut zu essen und ein Dach über dem Kopf haben.
... Gesundheit.
Allmählich kommt ein Muster zum Vorschein. Ist Glück individuell das, was wir gerade nicht haben? Und Unglück damit die Normalität? Ist Glück nur zu Weihnachten - oder das dieses Jahr magere 13. Monatsgehalt? Der Urlaub auf Kreta - von 1957? Wo alles noch viel ruhiger war? Mit dem Gogo über den Brenner und im Trabi nach Ungarn? Ist Glück grundsätzlich Konjunktiv?
Was die Umfrage der Seminarleiterin betrifft, muss sie wohl selber ihre Ergebnisse noch sortieren. Ihr Sohn und ich sind uns einig, dass Glück darin besteht, der oder das sein zu können, was man ist. Und da irrt meiner Meinung nach der Biograf des indischen Guru, wenn er seine Anweisung in den Imperativ setzt: Sei, was du bist! - heißt vor allem sei. Und das ist man von selbst. Nur sein zu dürfen und zu können, ist schwer, wenn einem jeder sagt, wie oder was man zu sein hat. Auch wenn es das ist, was man angeblich wäre.
Denn wer, bitte, legt denn das Konzept dafür fest? Wer bestimmt, wer wir sind? Sozialisierung? Religion? Eltern? Arbeit? Geld? Was bedeutet es, wenn dich auf der Autobahn jemand mit einem fetten Schlitten auf die rechte Spur abdrängt, auf dessen Heckklappe 'SEI, WAS DU BIST!' geschrieben steht? Könnte auch 'FLY WITH THE EAGLES OR SCRATCH WITH THE CHICKEN' heißen -- eine Platzanweisung. Philosphen sagen es so: "Wir können zwar tun, was wir wollen. Aber können wir auch wollen, was wir wollen?"
Gnoti Sautón - sagt der Grieche und mit ihm der Fries am Apollon - Tempel von Delphi; und der Alt-Philologe montags morgens, wenn ihm nichts besseres einfällt. Erkenne dich selbst! Doch wie? Das ist nämlich gar nicht so einfach. Vor allem in einer Welt, in der wirklich jeder besser als du selber weiß, wer du bist, zu sein hast, oder warum du eben aus deiner falschen Perspektive heraus völlig falsch darin liegst, dich selbst zu erkennen. ... in einer Welt, in der es mehr Ratgeber zu dem Thema gibt als Ratsuchende. Und derer sind viele. Ich nehme mich da gar nicht aus.
Zurück auf Anfang! Der sein zu können, der man ist, setzt voraus oder wünscht sich, dass man ihn läßt und ihn ("Ich finde Glück in der Natur") auch zur Ruhe kommen läßt, um sich selbst zu finden. Dass man ihn oder sie nicht mit Aufforderungen bombardiert oder sogar mit schlimmerem, um den Be-Glückten das für sie vorgesehene Glück (notfalls gewaltsam) aufzudrängen. Manche muss man zu ihrem Glück zwingen - sagt der Folterknecht, wenn er die glühenden Eisen ansetzt, um eine Seele zu läutern.
Sind tote Menschen glücklicher, weil sie auf einem demokratischen Friedhof liegen? Vertriebene, weil sie sortenrein in Lagern leben? Armutsopfer, weil sie am Weltmarkt partizipieren? Wenn sich eine/r sexuell falsch eingeordnet fühlt, gehaltsmäßig falsch gruppiert, nicht anerkannt oder in Laken versteckt, ist die/der dann glücklicher, wenn sie/er einsieht, dass es besser ist, sich 'nach der Decke zu strecken' oder dass es anderen noch schlimmer ergeht?
Sein zu dürfen, was man ist, ist keine Aufgabe für den Glückssucher, es ist eine Aufgabe für den Rest. Lasst sie! .. sollte man sagen .. lasst sie doch sein, was sie sind! Schenkt den Menschen doch das Glück, sein zu dürfen, was sie sind! Dann lassen sich nur die 'Ratgeber zum Glück' nicht mehr so gut verkaufen.
Hier noch was gelungenes zum Glück: Andreas Izquierdo schrieb ganz unprätentiös das GLÜCKSBÜRO. Ein goldener Titel!! Oder?
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