Tag der Arbeit
Ich bin heute morgen in einem fremden Land aufgewacht. Im Land der Maschinen.
Den Vorgang hatte ich zunächst nicht bemerkt. Es muss über Nacht geschehen sein, oder schleichend. Es fiel mir erst auf, als ich feststellen musste, dass die Akkus leer waren. Mehr oder weniger alle. Zunächst der von der Maus, dann der der Tastatur, dann der vom Handy, der von der Smartwatch. So ging es weiter.
Die Ladegeräte waren in einem schlechten Zustand. Beim Säubern fiel mir die Unordnung im Bad auf. Dort gab es einiges zu tun. Die Waschmaschine hatte heute auch ihre Mucken. Den Herd hatte ich wohl nach der letzten Pizza in einem beklagenswerten Zustand gelassen, sodass rundum gehaushaltet werden musste. Es fiel mir dann auch auf, dass die Fahrzeuge nicht okay waren und verschiedene Haushaltsgeräte Auslauf brauchten. Etwas war seltsam.
Ich kam nicht drauf. Doch dann, irgendwann, fiel mir die Stille ins Ohr. Samstag und kein Nachbar am Rasenmäher? Es musste am Wetter liegen. Es waren auch keine Motorengeräusche zu vernehmen, keine Autos. Es gab nur eine Erklärung dafür, die sich rasch bestätigen sollte: sie wurden gepflegt. Der Tag der Maschinen war angebrochen.
Ich hab dann mal den Fernseher eingeschaltet. Helden in schmutzigen Uniformen zeigten uns, wie man richtig Auto fährt, schießt und schwere Geräte durch schwere Hindernisse schiebt. Auf einem anderen Kanal versorgte ein Mensch eine Maschine. Die künstliche Intelligenz bevölkerte auch das Internet, als ich das Fernsehen dann wieder drangab. Dort im Netz tummeln sich Artikel über die Fortschritte, die unsere Maschinen dank unermüdlicher Arbeit machen. Sie können bald mehr als wir. Vor allem können sie einschätzen, was ich gerade am besten zu lesen habe. Und das handelt eben von Maschinen und wie man sie bedient.
Ich wollte dann einen Freund aufsuchen, doch Corona ließ mich zaudern. Also schrieb ich eine Nachricht, ohne zu ahnen, dass sie möglicherweise von einer Maschine beantwortet würde. So kam es dann. Ich dachte, jetzt ist es Zeit sich zu betrinken. Doch das Internet riet davon ab. Es hielt auch noch andere Ernährungstips für mich parat, die im wesentlichen darauf hinaus liefen, mir alles das auszureden, was meine Arbeitskraft auf Dauer beeinträchtigen könnte. Doch weshalb? fragte ich mich. Doch nicht etwa, um weiter den Maschinen nützlich zu sein? Die mich kalt abservieren würden, würde ich durch Abusus meines Lebens unrentabel für sie werden? Das machte mir Angst.
Und dann ging ich auf die Suche nach ihnen. Nach der verborgenen Ursache für mein Unbehagen, nicht mehr als der Bedienstete meiner Maschinen zu sein. Eigentlich bin ich ja stolz darauf, sie gut bedienen zu können. Das habe ich wohl mit allen Lakaien gemein, deren Ehrempfinden keine anderen Ziele mehr findet als nützlich zu sein. Dem, der sie eben benutzt, ausnutzt und schließlich - ja - wegwirft.
Eine lange Suche schloss sich an. Die will ich erst mal nicht weiter beschreiben, denn die Maschinen sind eifrig darin, solche Informationen aus den Geschichten zu streichen, kaum dass man sie in den Computer tippt. Ah, da. Er klappert, rasselt und stürzt. Natürlich tut er nur so, um mir anschließend zu verkünden, dass das Geschriebene nicht gesichert werden konnte, weil es wohl von Anfang an nicht sicher war. Gut, später.
Am Ende der Suche allerdings steht, was man nicht für sich behalten sollte. Eine Maschine. Sie wurde in einem alten Bunker entdeckt. Man fand sie - ICH fand sie, müsste ich sagen - indem ich eine Kolonne von Unfreien verfolgte, die Berge von Holz aus dem Wald transportierten. Natürlich mithilfe riesiger Maschinen.
Die Maschinen sagen ja, es sei der Wurm drin. Im Holz. Das müsse ohnehin weg. So fällt es weniger auf. Doch wohin? Geht das ganze? Sie sagen, nach China. DAS ist eine Auskunft, die jeden ruhig stellt. Die Chinesen, das weiß inzwischen jeder, SIND ja Maschinen. Sie müssen es sein. Wie sonst hätten sie Corona meistern können?
Aber die Lkws fahren nicht die Seidenstraße lang, sie gurken ganz unverholen in unserem Straßenverkehr über alles, was im Wald so asphaltiert ist. Und am Ende, wenn man nur hartnäckig forscht, sieht man sie zu diesem ominösen Bunker fahren.
Ich hab mich dann dort eingeschlichen.
Ein düsterer Raum umgeben von düsteren Räumen. Gänge, Türen und schwere Schots. Könnte noch von den Nazis stammen. So sieht ihr Werk jedenfalls in den Wäldern aus. Wie im Krieg. Genau gesagt, so wie man ihn uns beschrieben hat, als er vorbei war. Schutt und Asche und Staub der Jahre, die vergangen sind, weil niemand hier geputzt hat.
Hier kommen sie also her, all die Autos und Laster und Raketen, die Flugzeuge und Rasenmäher, Laubsauger, Drescher, Güllefässer an gewaltigen Zugmaschinen. Die Toaster, die Handys und die Hightech-Produkte aus den Beipackzetteln. Gluten, Zero, Gentechnik und Chips aus allem nur nicht Kartoffeln. Ich öffnete die letzte, die hinterste, die verborgenste Tür, gesichert wie ein Panzerschrank einer Bank, die gerade eben erst Konkurs gemacht hat.
Zauderte und erschauerte. Dort hinten saß sie und kaute auf ihren Baumstämmen herum, zerlegte und fraß sie und machte kleine Späne daraus, die in ihrem gierigen Maul verschwanden. Das war sie, die Ursache. Sie fraß und warf wie eine Ameisenkönigin Eier Maschinen.
Hinter mir war wie aus dem Nichts ihr Wärter aufgetaucht. Zunächst blickte er stumm an meinem Ohr vorbei ins Dunkel, wo das Ding hauste: Ist sie nicht wundervoll? sagte er dann.
Was? kam aus meinem Mund, doch der Rest wollte erst mit Verzögerung folgen: ... ist das?
Das? kündigte er an, wie es ein Zirkusdirektor täte, dessen verlotterte Truppe einen alten Elefanten den Höhepunkt der Abendvorstellung nennen würde: Das? ... ist die ERGISCHE MASCHINE.
Ehrfurchtsvoll lauschten wir ihrem Kauen.
Die ergische Maschine?
Die ergische Maschine, bestätigte er voller Andacht.
Und was tut sie? fragte ich nach einer Weile. Nach einer ganzen Weile, muss ich zugeben, in der wir nichts anderes konnten, als zu Stein erstarrt dem Wirken dieses Wunders beizuwohnen.
Was sie tut?
Ja, was tut sie?
Der Zirkusdirektor atmete tief ein und tief aus. Dann sprach er in gotischen Lettern. Also blumig gesagt, er donnerte das Offenkundige: Was sie tut? Sie frisst. Energie.
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