Wastalos

Tommi kommt die Treppe runter, in der Hand einen Kanister. Es stinkt nach Benzin. Der Kanister ist so gut wie leer. Tommi schnappt sich den zweiten, einen dritten haben wir bereits auf der Kellertreppe ausgeleert. Jetzt gluckert der Sprit über Mobiliar der späten Fünfziger, Sofas, Schränke und Teppiche. Mir fällt auf, dass das Nikotin sich mit Super aus den Gardinen waschen lässt. Strahlend weißes Licht kämmt die Vorhänge, davor Dampfschwaden, und Tommi schnippt sein Zippo an. Muss sechs Uhr rum sein. Langer Samstag. Der Dampf scheint Atem und Schweiß zu sein. Es ist kühl draußen, das Haus ungeheizt, und wir haben hart gearbeitet. Tommi zumindest. Er macht eine gute Figur. Versucht es jedenfalls. Tommi spielt, seit ich ihn kenne, Actionfilme nach. Er ist der Hauptdarsteller in seinem Leben, und dies hier sein Meisterwerk. Die Rolle seines Lebens. Er kann das Zippo nicht einfach an den Vorhang halten, er wirft es mit großer Geste die Kellertreppe hinunter. »Das war’s, altes Haus« sagt er. Den Spruch hat er mit Sicherheit vor dem Spiegel trainiert. Ich halte mich besser in der Nähe der Ausgangstür, man weiß ja nie. Den Spruch noch im Ohr, denke ich beim Verlassen der Hütte, dass es eigentlich ein Geräusch geben müsste, Fanfaren und Trommeln in einem Soundtrack von Anthony Zimmer. Ein Fauchen zumindest sowas in der Art. Wir hätten an iPods denken sollen. Nur schlecht mit Handschuhen zu bedienen. Draußen dann die Erkenntnis: keine Musik, kein Geräusch, keine Action. Es tut sich nichts, weil sich nichts tut. Tommi hat mal wieder Scheiße gebaut. Er gibt uns eine Vorstellung seiner intellektuellen Fähigkeiten: »Hä?« hört man ihn drinnen knöttern, dann das Knarzen der Kellertür und Schritte. Erst vorsichtig, dann verwegen. Dann nennt er den Namen, den wir ihm gegeben haben, weil er seinen halben Wortschatz ausmacht: »Wastalos«. Wastalos ist Grieche, dachte ich lange. Der Vorname des Griechen ist Hä. »Hä Wastalos« sollte auch Tommis Abschiedsrede sein, und die Rekonstruktion der letzten Minuten laufen darauf hinaus, dass sein Zippo ausgegangen sein muss, als er es in den Keller warf. Der zweite Versuch war dann erfolgreich. So kommt die Legende von Tommis Selbstmord zustande. Einige glauben noch heute daran. Tatsächlich hatte Tommi einen Haufen Schulden, und seine Hütte war versichert. Ich war angeblich nie da. Hab auch nie Fragen gestellt, zum Beispiel die, ob man gegen Brandstiftung versichern kann. Tommis Schulden allerdings, makaber zu sagen, sind erloschen. Mit ihm, in gewisser Weise. Er lag verkohlt im Keller, als man ihn fand, das Zippo in der Rechten, den Handschuh zwischen die Knie geklemmt.