Busgespräch II

"Vielleicht sollten Sie damit anfangen, ein T-Shirt zu tragen."

"War blutig."

"Von der Rasur am Kopf?"

"Habe gerade jemanden umgebracht. Das Hemd war blutig. Hab's augezogen."

Oha, denkt der Anwalt in mir, das klingt ja interessant. In der Praxis nennen wir die Praxis Kanzlei. Aber es ist eine Praxis. Für Psychoten in der Regel. Kleinere und größere. Die meisten sind nur an peinlicher Einhaltung von Regeln interessiert. Es geht ums Prinzip. Das sind die schlimmsten. Aber es gibt auch andere Kaliber. Mord und Totschlag sind eher selten, kommen jedoch vor. Ich frage: "Wie?" und hänge nach einer Minute des gedanklichen Sammelns ein professionelles Ende an den Satz: "... ist das denn passiert?"

Er schüttelt den Kopf: "Keine Ahnung. Ehrlich. Einfach so."

Über die Knöchel meiner linken Hand starre ich ihn an und begreife erst verzögert, dass ich es tue. Den Ellbogen habe ich auf meine Mappe gestützt, weil in öffentlichen Verkehrsmitteln die Schreibtischfläche fehlt, das Kinn auf den Daumenballen und die Knöchel schwellen unter meiner Nase. Eine Geste, die man mir in der Kanzlei oft schon vorgeworfen hat. Schock und Unglaube wohnen darin, und wie ein Kollege betont: argumentative Schwäche. "Einfach so?"

Der Mann atmet tief ein. Seine Brust schwillt unter einem ansehnlichen Paket von Muskeln, das mich an Spielfilme von kybernetischen Monstern zu erinnern beginnt. Vorher hatten sich meine Augen bemüht, den Ausblick zu ignorieren. Jetzt versuchten sie, eine Art blinden Fleck auf den Oberkörper zu projizieren. Irgendwie durfte das ganze nicht sein. Ihm meine Jacke anbieten?

"Ich hab viel Sport gemacht. Kein Kampfsport. Ist nicht mein Ding. Gutes Essen ... plötzlich ist der Körper fit. Lässt sich wohl nicht umgehen."

"Manche wären froh drum."

Er schüttelt wieder den Kopf: "Ich mache Sport, weil ich es sonst nicht aushalten könnte. Und dann bin ich platt und erhole mich kurz, und dann brauche ich mehr davon. Ist ein Teufelskreis."

"Offensichtlich."

Lange Pause, dann kommt das Geständnis. Ist immer so. Sie müssen erst ihre Gedanken ordnen. Man hört am Tonfall, ob es stimmt. "Eine Freundin. Sie wollte, dass ich sie begleite."

Blick zur Uhr: Vormittag? Also spielt seine Story in der Nacht? Den Einwand scheint er von meiner Geste abzulesen: "Heute morgen. Sie wollte Außenstände kassieren. Elena ist Tänzerin. Sie verdient sich am Wochenende was mit Tabledance im Nachtcafé. Heute Morgen wollte sie das Geld abholen. Also fragt sie mich, ob ich mitgehen kann."

"Als ... was?"

Seine Hand wackelt wie die eines geübten Groupiers im Leerlauf: "Keine Ahnung. Für die credibility? Einfach so. Zur Sicherheit."

"Und dann geriet die Sache aus den Fugen?"

"Ein Kerl kommt an, während Elena im Büro ist, setzt sich zu mir, und sagt mir, dass sie ab sofort für sie arbeiten würde."

"Arbeiten?"

"Er sagte: Laufen. Die Kleine läuft jetzt für uns. Sowas in der Art. Hab das erst nicht verstanden. Ich dachte, der hat ein Sprachproblem, denn der kam nicht von hier."

Oh Sch..., denke ich, als ich die Falle kommen sehe: Opfer mit migrativem Hintergrund. An der nächsten Haltestelle muss ich raus ...