Gespräch im Bus
Mir sitzt einer gegenüber. Im Bus. Er schweigt mich an. Glatze, denke ich. Er hat einen glattrasierten Schädel, darauf eine Wunde, die nach Pflastersteinen aussieht. Er trägt diese Stiefel. Er ist muskulös. Er spricht mich an. "Es tut mir Leid", sagt er, "da ist niemand, mit dem ich reden könnte." Nicht antworten, denke ich, bloß nicht antworten. Ich blicke zum Fenster hinaus. Mein linkes Ohr hört einen Seufzer. "Es sind die Stiefel", sagt er. Dann Schweigen. Das Schweigen west an.
"Motorradstiefel. Ich fahre gern. Aber die Maschine ist kaputt. Musste den Bus nehmen. Die Haare habe ich selbst rasiert. Dabei ist das mit der Wunde passiert. Ist wegen dem Helm. Gestern war ich bei den Motocrossern. Zum letzten Mal. Die wollen mich da nicht. Mir macht das Gelände Spaß. Aber die wollen mich da nicht. Jetzt ist sowieso die Maschine kaputt. Ich habe es satt, als einer von denen gehalten zu werden. Politik interessiert mich nicht. Religion auch nicht. ich bin einfach nur da. Scheint aber schon zuviel zu sein." Jetzt riskiere ich doch einmal einen Blick. Er lacht in einer bitteren Weise. Entwaffnend.
"Warum lassen Sie nicht einfach die Haare wachsen und ziehen die Stiefel aus?"
"Man kann nicht schalten."
"Ohne Haare?"
"Das ist wegen dem Helm. Man kann mit anderen Schuhen nicht schalten. Am Motorrad."
"Und jetzt glauben alle, dass Sie einer von denen sind?"
"Manche. Die meisten glauben, dass ich keiner von ihnen bin. Das ist das schlimmste. Freunde. Keine Freunde."
"Hat man daran nicht selber Schuld?"
"Vielleicht. Vielleicht hat man auch keine Chance."
"Wieso? Hat man nicht immer eine Chance?"
"Dachte ich auch. Aber es ist nicht so."
Er schaut raus, ich schaue hinaus. Ich spüre, wie sich die Gedanken verflüchtigen. Ganz woanders hin alles. In mein eigenes Leben. Wir sitzen im selben Bus, wir denken vielleicht die selben Gedanken, aber wir sind in verschiedenen Welten. Vielleicht ist es das, was mir die Situation sagen will. Drei Stationen vergehen wie Dunst überm Meer. Dann habe ich vergessen, wo ich aussteigen will. "Warum ist es nicht so?" frage ich.
"Wir sollen jemand sein. Irgendwer. Wir sollen irgendwer sein. Wenn wir nicht irgendwer sind, existieren wir nicht. Bei den Motocrossern fragt dich einer, in welcher Klasse du fährst. Du sagst: ich weiß nicht. Er fragt, was für eine Maschine? Du sagst: die und die. Er sagt: das passt nicht hierher. Dann bist du draußen. Darfst vielleicht in der Pause deine Runde drehen, aber du bist draußen, weil du nicht ins Programm passt."
"Man muss sich eine andere Bahn suchen."
"Im Leben geht das nicht."
"Und darüber kann man mit niemand reden? Freunde?"
"Freunde? Anderes Rennen, selbe Bahn. Keine Chance. Sie fragen dich nach deiner Klasse und du schüttelst den Kopf. Das war's."
"Glaube ich nicht."
"Ist so."
"Keine Freundin?"
"Zu wenig Geld."
"Geld? Was machen Sie denn? Beruflich?"
"Keine Ahnung. Bin wohl gescheitert."
"Keine Freundin, keine Freunde, kein Job ..."
"... Motorrad kaputt. Glatze. Stiefel."
"Richtig."
(morgen vielleicht mehr)
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