Wie smst man Kafka?
Vor Jahren, als diese facebook-Spiele heraus kamen, in denen man irgendwas verrücktes tun muss und sich selbst dabei filmen, saß Garb mit seinem Freund Basl in der Schwabinger 7 und erfand Auswüchse dieser Challenges* . Sie hatten schon ein paar Bier und scheuten nicht davor zurück, Gedankenexperimente anzustellen von elektrischen Schneeballsystemen, in denen Herausgeforderte Schreckenstaten zu begehen hatten. Ausländer attackieren, Obdachlose anzünden. Sie liessen ihren Vorstellungen freien Lauf, wohlwissend, dass nach dem nächsten Bier Musikkulisse und Kneipenlärm ihre häßlichen Vorstellungen wie Dämonen in die nächtlichen Gassen vertreiben würden. Kaum dass man sich mal an einem Montag daran erinnerte, was am Samstag im Vollrausch gesagt und getan worden war. Außerdem rauchten sie. Wohl einer der Gründe, warum Basl dann schließlich in den Kaukasus ausgewandert ist. Garb fürchtete lange Zeit, sein Kumpel würde sich dort zu Tode kiffen.
Mittlerweile sind ein paar Jahre vergangen, und dieses Gespräch ist Garb immer noch peinlich. Es zeigt, wie tief der Erfindungsreichtum sitzt, wenn es darum geht, Schaden anzurichten. Es zeigt auch, wie flach die Denke wird, wenn man umgekehrt Positives bewirken will. Dann geht meistens nichts, und die Einfallsarmut ist sprichwörtlich. Aber man kann doch nicht einfach ... ist eine einseitige Hürde. In Richtung Verderben scheint sie leichter zu nehmen als andersrum. Doch man kann ... die Dinge schlimmer machen. Wenn man unbedingt will. Einseitige Hürden nennt man Fallen.
Jetzt kommt also spät nachts Basls Anruf. Garb wacht auf. Ein Telefonat ähnlich zerhackt, wie es vor einem Viertel Jahrhundert durch das transatlantische Kabel gequetscht worden wäre. Alle paar Minuten schrie einer durch die Leitung: Hörst du mich noch? Garbs Telefon echote mit halbsekündiger Verspätung seine eigene Stimme ins Ohr, eine perfide Folter, die mit Gewalt forderte, was früher in Telefonzellen stand: Fasse Dich Kurz!
Basl erinnerte an diese Nacht und ihr Gespräch. Sein Erfolgsgeheimnis in einem Satz: Basls Geschäftsgrundlage war in dieser Nacht in der Schwabinger 7 geschaffen worden. Das schien ihn nicht weiter zu beglücken. Garb bemerkte trotz der schlechten Qualität der Leitung, dass dem Erfolgsmann ein Kloß im Hals steckte. Er hatte drei Drogen gemischt, was den Menschen nostalgisch macht: was aus der Jahrhundertwende, die Vietnampille und den guten, alten Freund der Leber. Väterchen Vodka.
Dabei hatte Garb und alle gemeinsamen Bekannten Basl immer für einen Raketenmann gehalten. Er war sehr schnell aufgestiegen, hatte sich beruflich in ausländischen Regierungskreisen als Berater etabliert, hatte ein gutes Händchen für Geldanlagen und wechselte häufig die Frauen. Was sie damals aus Spaß erfunden hatten, wendete er also, wie er jetzt gestand, jeden Tag beruflich an. Garb, sagte er, du kannst die Menschen zu allem bringen, wenn du ihnen nur das Gefühl gibst, es wäre Zeitgeist, mit zu machen. Ob auf den Ohren Samba tanzen, durch die Nase Regenwürmer essen oder Omas dritte Zähne lackieren, sie machen alles mit.
Das System heißt Rosch. Wir lösen Kriege aus. Es läuft genauso wie mit dem Becher Eis, den man sich in einem Selfie über den Kopf schütten muss, um das Video davon in facebook zu posten. Man nominiert andere, und die machen mit. Es ist ein Spiel. Er smst einen Dummy der Regeln: DEIN NACHBAR XYZ IST EIN SCHWEIN. ER SPIELT DEN HARMLOSEN. FALL NICHT DRAUF REIN. FILME SEIN BRENNENDES HAUS UND NOMINIERE ...
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