so etwas persönliches soll man nicht schreiben
... und trotzdem: in den letzten Jahren habe ich meine Mutter gepflegt. Sie hatte es nicht leicht. Menschen zerbrechen. Anfang Februar saß ich in einem Eckcafé in Sevilla und ließ mir von Javier den dritten Cafe con Leche zur Zigarre stellen. Dabei dachte ich darüber nach, wie wundervoll es gewesen wäre, ihr diese magische Stadt zeigen zu können. Alte Leute reisen nicht. Sie glauben nicht an Umsteigekomfort und Kofferdienste, regelmäßig über das Land verteilte Toiletten, und demzufolge auch nicht an ehrliche Gastfreundschaft. Während ich also dort sitze und meine Lunge nachhaltig schädige, ruft eine Freundin aus Ayamonte an und berichtet mir von diesem Job.
Ich kann nicht umhin, Sevilla magisch zu nennen, denn diese Stadt ist magisch. Sie ist reine Magie. In dieser Nachricht sucht Gaby einen Reiseleiter für Senioren. Meins. Genau meins, denke ich. Für meine Mutter ist es zu spät, sie lebt nicht mehr, aber sie sitzt neben mir auf dem leeren Stuhl und sagt: zeig mir dein Andalusien! Eine Woche später - ich bin wieder in dem leeren Haus in Deutschland - habe ich Kontakt mit dem spanischen Unternehmen, ein Flugticket nach Faro, Unterkunft und mein Handgepäck gepackt. So ging es los. Frühjahrestreffen Huelva 2019.
Ich verbuchte es als Recherche, denn als Reiseleiter bin ich ein Draufgänger erster Klasse. Meine Rundfahrt vor langer Zeit war nur deshalb ein Erfolg, weil ich eine wahnsinnig gute Gruppe hatte (aus Duisburg) und einen sowas von entpannten Busfahrer (Pepe). Viel Zeit lag dazwischen. Und jetzt Gruppe auf Gruppe aus Österreich. Nicht drüber zu reden: sie sind klasse. Alle. Oft genug musste die Sonnenbrille her, um Tränen zu verbergen. Ein Traum. Etwa nach drei Wochen konnte ich den Job. Und dann merkte ich auch, dass es nicht irgendein Job war, sondern mein Job.
Und sie sorgen für alles. Alles. Ärzte, Flieger, Kofferservice ... der gesamte Aufenthalt ist sowas von auf die Menschen zugeschnitten, dass man schon vom Zusehen eine feuchte Hose bekommt. Alles perfekt und ich ein Teil davon. So also der Deal. Und dann komme ich zurück, bin verknallt wie ein Affe und denke darüber nach, schwul zu werden, damit es mir leichter fällt. Ich lese komische Bücher und fotografiere endlos Menschen, klackere wie eine Stahlkugel durch den Flipper meiner Freundschaften, kaputter Autos und unerledigter Geschäfte, während sich mein Blutdruck bei 175 einpendelt. Warum? Nichts gegessen. Zu viel geraucht.
Dabei rauche ich garnicht. Jedenfalls keine Zigarren und überhaupts. Ich wünschte, ich könnte das schreiben, aber die Tastatur hat zu wenig Buchstaben. Es fehlt die Taste für den Mond überm Meer nachts um drei und die Sternschnuppe von Huelva. Es fehlen die Belota-Geschmackstöne, das Condado und die vermaledeiten Erdbeeren, der Nachmittag an der Plaza San Sebastian, Niebla, Kolumbus und diese wundervollen Holzschiffe, auf denen man Amerika entdeckt. Sand an den Füßen und Korkmützen am Kopf. Ich frage mich, ob ich überhaupt noch Schriftsteller bin. Und mir fehlt sie.
Aber bevor wir jetzt sentimental werden, will ich mal schnell den ADAC loben, denn der hat mein Auto gerettet. In Würzburg. Und die Seniorenreisen, denn die haben meine Seele gerettet. Und ich will allen älteren Menschen empfehlen, dort mitzureisen. Ihr werdet es nicht bereuen. Im nächsten Frühling zum Beispiel ... Huelva 2020
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