Ostentative Nichtlektüre
Ob sich Johannes Franzen das Wort patentieren ließ?
Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Ich habe als Autor viele Leser (modelle) gesehen. Und ich stellte mir immer die Frage, welche mag ich am liebsten?
Als Autor? Die Leser, die meine Bücher kaufen und lesen. Die Kritiker, die mir bei einem Glas Bier erzählen, was sie von mir und meinen Büchern halten. Am besten große Stücke. Die Nichtleser, die sich auch nicht rechtfertigen, warum sie tun, was sie nicht tun. Die Buchhändler, die schöne Cover lieben und sich um den Genuss ihrer Kunden kümmern.
Als Künstler? Den Leser, der ein zerfleddertes Original in einer Bookswap-Telefonzelle findet und mir dann schreibt, wie sehr es ihm gefallen hat - wenngleich die letzten dreißig Seiten fehlen.
Als Leser? Die Mitleser, die sich nicht in der Zeitung informieren müssen, was sie zu lesen haben oder nicht, sondern ihren eigenen Geschmack ohne Rechtfertigung kaufen, lesen und genießen dürfen. Ich sehe einer älteren Dame zu, die in ihrem Bett eifrig Seiten wechselt von einem Roman, der alle Klischees der Welt aufzählt. Sie strahlt vor Glück und berichtet hinterher, sie habe diese eine Stelle gemocht, an der die Autorin von ihrer Jugendzeit erzählt - die garnicht so sehr in das Afrikaepos gehört, aber da habe sie sich wirklich wiedergefunden. Ein wirklicher Kenner der Literatur wirft einen einzigen Blick auf ihre Bibliothek, die vertreut in Packen und doppelreihigen Regalen, Stapeln auf allen Ablagen rund ums Bett liegt und vernichtet mit einem einzigen Wort ein ganzes Universum: Trivialliteratur.
Darunter fällt dann auch Ovid und Goethe, Dante, Shakespeare, ein Gedichtband über Engel und der Gorski aus München. Kriminal- ist ja auch nicht -Roman. Als Autor, als Künstler und als Leser ist in diesem einen Moment, wo das Urteil Trivialliteratur fällt (oder irgendein anderes), die Literatur an sich beschädigt. Wenn nicht kaputt.
Der Unterschied zwischen Literatur und Geschriebenem, ist er nicht der, dass Literatur gerade dieses Universum einer EIGENEN Bücher- und Erlebniswelt erschafft? In der niemand irgendwem erklären muss, warum ihm dies oder das in dieser oder jener Ecke gefällt? In die niemand reingucken darf, wenn nicht als respektvoller Besucher und Gast DES LESERS oder DER LESERIN? Auch nicht ein Autor, der es vielleicht glaubt, besser zu wissen ...
Ich finde, es mangelt an diesem Respekt. Denn das, was ich mir als Leser in meinen Büchern und Vorstellungen aufbewahre, diese innere Bibliothek mit rein äußerlichem Wurmfortsatz, das alles ist MEIN Universum, es ist MEINE Welt. Und die kann kitschig, überladen, naiv sein, wie sie will. Und deshalb bin ich als Autor auf jeden dieser Plätze unendlich stolz, an dem auch eine kleine Pflanze vom Fiedler wächst.
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