Hilfeschrei eines Kritikers
Der Literaturbetrieb treibt schon seltsame Blüten. Neulich postete ein Kritiker: "Wenn mir noch EINER anonyme Todesanzeigen und Morddrohungen schickt ..." - völlig entnervt über die Einfälle der Autoren, sich selbst und ihre Geschichten zu vermarkten. Das ganze nennt sich Selfmarketing und geht so zielsicher in die Hose wie Spam in den Papierkorb. Aber das ahnen die Autoren offensichtlich nicht, oder klammern sich an die Hoffnung, in ihrem Falle ginge das ganze mal zugunsten des Kreativen aus. Nun ja.
Früher war der Bereich des Marketing ganz sauber im Buchvertrag geregelt durch einen lakonischen Satz, der da hieß: "Der Verlag verpflichtet sich, für das Werk angemessene Werbung zu betreiben". Was angemessen war, regelte im Einzelfall die Verordnung ... nämlich die des Verlegers. Wenn eine Verlegerin beispielsweise entschied, Plakate auf Busse zu kleben, dann war das angemessen. Entschied man sich für einen Flyer im Foyer der Kunstakademie zu Trabbenförde, hatte es den selben Status: angemessen.
In Frankfurt traf ich seinerzeit eine Kollegin (glücklicherweise in Begleitung einer etwas weniger exaltierten Autorin), die sich beklagte, weil ihr Verlag nach der Versendung von 5.000 Rezensionsexemplaren auf Sparsamkeit gedrungen hatte. Mein Verlag hätte damals schon beim 50ten die Druckkosten zurück verlangt, aber ihrer hatte offenbar einen längeren Atem, was bedeuten mag, dass der Glaube an die Kraft der Masse damals noch ungebrochen war.
4950 Exemplare landen natürlich direkt ungesehen im Schredder, die restlichen Adressaten sind exakt die, die man vorher schon hätte gezielt ansprechen können. Doch manche scheinen Kritiker und Kollegen für Volltrottel zu halten, die üblichen Spamopfer, die dann doch auf den Bestellknopf drücken und 10.000 Euro nach Birma überweisen, um von dort die 10 Mio Dollar von verstrobene Onkel Fürst königlicher zurückzuerhalten. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Ich stelle mir vor, dass ein Kritiker, weil er mal nichts besseres zu tun hat, einen Titel liest, den er gleich drei Mal geschickt bekam, begleitet von einer niedlichen Morddrohung und dem Hinweis, dass der selfmarketingende Autor das Talent des Jahrhunderts sei - und mit dieser wohlwollenden Grundhaltung ausgestattet das vorliegende Werk, für das der Verlag schon keine 'angemessene' Werbemethode mehr leisten will, rasend gut findet, weshalb er den Titel gleich ganzseitig in seiner Zeitung bespricht. Naja, Träume machen das Leben bunt.
Tatsächlich steht heute da, wo früher angemessene Werbung versprochen wurde, der lakonische Vermerk "Werbung: blogmarketing". Heißt: Lieber Autor, der du dein Werk geschrieben hast, das wir aus Kostengründen nicht anständig lektorieren können, das nur noch einen Deckel bekommt anstatt zweier, weil es ein ebook wird, du wirst dich um die Vermarktung selber kümmern müssen.
Und das tun sie dann, die Kreativen. Es gibt Kollegen, die Adressen fressen aus dem Literaturbetrieb, sie auf ihren Computern sammeln und die Welt mit ihren Neuigkeiten zuspammen, andere quälen sich selfies an jedem Schaufenster ab, in dem ihr Buch einmal gestanden hat, man inszeniert sich selbst in irgendeiner Form, nimmt angestrengt an politischen Diskussionen teil, die ganz entfernt um das Thema des neuesten eigenen Romans kreisen, nur um zu dokumentieren, wie umfassend die Recherche war, wie fundiert der Inhalt. Die Hilflosigkeit unter den Schreibenden kennt keine Grenzen und kein Pardon.
Dabei ist der ganze Rotz völlig für den Eimer. Werbung ist ein Anschubkonzept (oder ein Steuersparmodell). Man kann eine neue Joghurtsorte auf dem Markt platzieren, wenn man im Fernsehen darüber spricht, ein Buch wird sich kaum auf diese Weise behandeln lassen. Denn es spricht für sich selbst. Und da sind wir beim Bestseller, jenen Werken, die es tatsächlich werbetechnisch bis ins TV hinein schaffen, deren Cover halbseitige Anzeigen zieren mit der inhaltlich erdrückenden Botschaft: der neue ... ist da.
Diese Werbung zahlt sich, wie der Verleger weiß, nie aus. Er steckt mehr Geld hinein, als dumme Kunden zurückkaufen. Paradox? Nein, das war schon immer so. Er platziert seine Ware, um ein Statement für seinen Verlag zu setzen. Oder für die Reihe oder für den Künstler, der längst selbst zu einem Label geworden ist wie Nutella. Wen würde ein Slogan wundern wie: Der neue Thriller von Häagen Dazs ab Freitag im Verkauf? Und wer merkte sich den Titel? Ist ja egal, es ist der neue. Die anderen zwanzig habe ich schon. Erst kommt der Bestseller, dann der Film, dann das Buch zum Film, dann das Merchandising, dann die Palettenware, und DANN zahlt sich die Werbung aus.
Aber kommt Liese Pünktlich mit ihrem Goldfischkrimi auf diese Weise auch in die Charts? Ich glaube, sie wird durch Qualität glänzen müssen, Originalität und Ausdauer. Ein Overnight-Coup wird ihr auch mit den modernen Hilfsmitteln nicht gelingen. Sie wird sich nur den Weg verbauen. Der Kritiker rät: Liebe Autoren, tut das, was ihr könnt - und schreibt gute Bücher.
Das ist mal ein wirklich ausgefuchstes, hinterhältiges und unschlagbares Werbekonzept.
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