spacig

Drei Jahre jetzt im Raum - plus ein paar kleine, die unter Einsteins Zeitdilatation fallen. Draußen unten sind zwanzig Jahre vergangen. Zusammenfassend kann man sagen, dass Raumfahrt nicht mein Ding ist. Anders jedenfalls, als wir uns die Sache gewöhnlich vorstellen. Da ist zum einen der gewaltige Raum. Die Freiheit, wenn man so will. Sie ist draußen, aber sie könnte auch in der Marmeladentube sein, man spürt nichts davon. Drinnen ist es eng, stickig und es fehlt an Ambiente. High-Tech ist auch eine Frage der Gewohnheit. Inzwischen telefonieren on earth die Kids mit besserer Ware, als wir sie hier zum Navigieren haben.

Jim hat gestern ausgerechnet, wieviele Wassermoleküle wir an Bord haben. Er kam auf eine erstaunlich geringe Zahl. Irgendwie bedrückend zu wissen, dass unsere H-2-O-s schon dreihundert Mal durch jeden Passagier durch sind - komplett von oben bis unten - und immer noch nicht abgenutzt sein sollen.

Die Konstrukteure haben mit der künstlichen Schwerkraft einen Fehler gemacht. KS funktioniert durch die Fliehkraft, die eine rotierende Trommel erzeugt. Wir nennen die Trommel Hamsterrad, weil dort gearbeitet wird. Und weil die Arbeiten, die wir so ausführen, eine Verkettung sinnloser Beschäftigungstherapie mit lebensnotwendigen Wartungsarbeiten darstellen. Manche nennen das Hamsterrad auch Salatschleuder, weil dort alles drunter und drüber geht. Die künstliche Schwerkraft nimmt zum Zentrum hin rasch ab, genau gesagt: quadratisch zur Höhe über Grund. Man wirft einen Stift nach oben und er friert am Scheitelpunkt seiner Reise in einer eigenartigen Slomo ein, bevor er sich entschließt, wieder zurück zu kommen. Die Luft macht es genauso. Warme Moleküle steigen daher noch viel schneller auf als auf der Erde. Feuchte, kalte Luft sackt auf den Boden wie Grubengas. Am Boden kondensiert Wasser aus, und am Kopf herrscht die selbe Atmosphäre wie in den Anden. Steigt man zum Zentralmodul auf, fühlt man sich wie ein Sherpa ohne Sauerstoff. Eingedoste Klimakatastrophe. Eigentlich sollte ich Torus statt Trommel sagen.

Die Sache mit den Wassermolekülen bekommt so jedenfalls einen besonderen Gôut und die Salatschleuder ihre eigene Zweideutigkeit. Künstliche Schwerkraft hat auch Nebeneffekte, nämlich auf den Kahn selbst. Man muss sich ein Karussell vorstellen, auf dem vor allem Elefanten fahren. Denn Raumschiffe sind in Leichtbauweise zusammengezimmert. Ein Einzelner in der Salatschleuder, und der ganze Transport fängt an zu schlingern. Nicht viel, aber merkbar. Die für diesen Fall eingebauten Stabilisatoren sind kompletter Schrott. Sie reagieren zu träge, weil eben der Körperschwerpunkt eines bewegten Menschen ständig woanders ist, als der Stabilisator denkt. Sobald der Stabilisator greift, ändern sich unmerklich die Pendelachsen. Und bevor der Computer reagieren kann, hat der Mensch schon instinktiv seine Position korrigiert. Ein ewiger Kampf Mensch gegen Maschine, der sich anfühlt wie Serien von Mikro-Beben. Seltsamerweise spürt man die Vibrationen am stärksten dort, wo gar keine Schwerkraft wirkt, nämlich im Zentralmodul. Dort wird geschlafen. War eine dumme Idee. Schon allein wegen der Beatmungsfrage. Alternativ haben wir es mit dem Hamsterrad versucht, aber die Luftfeuchte kondensiert einem da unten in der Wäsche. Insgesamt alles nicht ausgereift.

Ich gäbe sonstwas für einen Besuch beim All-You-Can-Eat-Chinesen. Über die Küche also betretenes Schweigen - seit Weihnachten vor zwei Jahren. Wir haben uns seinerzeit darauf geeinigt, das große Fest nur noch alle drei Jahre zu feiern und stattdessen ab und zu einen Umtrunk einzuschieben. Die Hausbar enthält einen Stoff, den wir hier Frostschutzmittel nennen. Es ist tatsächlich Alkohol drin. Aber in so geringen Dosen, dass gewöhnliche Atemluft stärker narkotisieren würde. Der Frostschutz macht seinem Streetnamen alle Ehre, was den Geschmack angeht - und wahrscheinlich auch die Wirkung. Dreißig Liter davon, und man hätte richtig einen im Tee - auf Ex, versteht sich. Frostschutz produziert unsere Klimaanlage. Wir peppen ihn mit Instanttee auf: Malve-Rooibos-Zitrone.

Ich will mal sagen: alles in allem könnten wir auch Kalkablagerungen in einem riesigen, im All entsorgten Heißgetränkespender sein. Man drückt auf einen der Knöpfe, es zischt und rauscht und scheppert, und wenn man eine Tasse drunter stellt, fließt da am Ende was Warmes hinein. Nur dass in unserem Fall die Tasse fehlt, und es drückt auch keiner auf den Wahlknopf. Wir sind sozusagen im Selbstreinigungsprogramm. 293,15° weniger als gewohnt, machen der guten alten Dampfmaschine auch erheblich zu schaffen. Es ist verzeihlich, dass der Computer unter diesen Bedingungen seine Orientierung verloren hat. Jedenfalls blicke ich gerade zur Beobachtungsluke raus und sehe die Erde auf uns zukommen. Kann aber auch einfach nur Schnee sein.