Ein ganz normales Resonanz - Phänomen
Am Wochenende postet ein geschätzter Kollege kopfschüttelnd den Zeit-Artikel zur aktuellen Anschlagsserie gegen Muslime in die Runde. Reaktion darauf ein Kommentar mit den einleitenden Worten: "Das ist ein ganz normales Resonanzphänomen" und der anschließenden ausführlichen Behauptung, Gewalt gegen den Islam wäre wenn nicht legitime, dann zumindest verständliche Gegen-gewalt.
Als Physiker kann man nicht umhin, in solchen Situationen den Begriff der Resonanz zu klären. Es handelt sich ja um ein Phänomen, das in schwingungsfähigen Systemen auftritt, wenn (landläufig) ein Hohlkörper auf die Antwort bereits gestimmt ist, zu der er dann folgerichtig angeregt wird. Der Hinweis, dass wir ja glücklicherweise keine Hohlkörper sind und daher nicht notwendigerweise von vornherein auf Krawall gebürstet sein MÜSSEN, verpuffte allerdings anschließend in der Anglifikation, die angeblich sogar einen juristischen Terminus dafür kennt: Law of Attraction.
Das wäre sozusagen zwischenmenschliches Gesetz, wenn nicht positives Recht. Und das nicht nur in Sardinien. Sondern wahrscheinlich im Heimatland der gerechten Sache, Humanität und Demokratie. Der Vorschlag, ins Urdeutsche zurück zu kehren und den Sachverhalt einfach wieder herkömmlich 'Vergeltung' zu nennen, fruchtete wenig, stattdessen wurde nun Vergeltung ins Englische übersetzt, mit der juristisch plausibel klingenden Wortgruppe verglichen und daraus der Schluß gezogen, es könne sich nicht um das selbe Phänomen handeln.
Fragt sich jetzt, was denn dann der Sinn der Rede ist. Ziemlich genau achtzig Jahre vergangen, seit es in unseren Landen gängige Praxis war, rechte Gewalt gegen religiöse Gruppen mit dem vorausgegangenen Fehlverhalten der Opfer zu begründen. Und es dabei ganz einleuchtend zu finden, dass mitten unter uns jemand auf der Straße mehr oder weniger zu recht eins auf die Zwölf kriegt, weil vorher irgendwo anders auf der Welt jemand, der gleichen Glaubens war, angeblich irgend einen anderen Mist verbrochen hat. Oder zweitausend Jahre vorher.
Ich denke, der Gesetzgeber des 'Law of Attraction' hieß Lynch. Sein Vorname könnte auch Adolf gewesen sein. Und bei all dem werde ich den anfänglich geäußerten Verdacht nicht los, dass die Opfer dieser quasilegitimen Exzesse zu allen Zeiten schon vollkommen austauschbar waren und immer noch sind. Mal ehrlich: ne Glatze kann doch nicht zwischen Schiiten und Sunniten unterscheiden. Ob zwischen Juden, Muslimen und Hindi, bezweifle ich auch stark. Möglicherweise würden die sogar ihr eigenes Vereinsheim anzünden, wenn jemand die Hakenkreuze mit Davidsternen oder Halbmonden übermalte. Neonazis sind ja keine Raketenwissenschaftler.
Aber der Gedanke kommt, und da beginnt der Grusel Steven-King-Niveau zu erklimmen, aus dem Kreis der Intellektuellen. Wir finden Worte, Plausibilitäten, Gesetzmäßigkeiten, Legitimation für dumpfeste rechte Gewalt und scheuen uns nicht, es eloquent als untrennbare Charaktereigenschaft des Menschen hinzustellen, dass dieser Dreck - angeblich als Reaktion auf Fehlverhalten - nach dem Schuld und Sühne - Prinzip unter unseren Augen geschieht.
Man fragt sich: haben jetzt schon die Intellektuellen heimlich Springerstiefel an? Statt Damenunterwäsche? Oder beides? Wahrscheinlich ist die Dunkelziffer mal wieder erschreckend hoch und ziemlich dunkel. Jedenfalls scheint man sich hierzulande nicht mehr schämen zu müssen, wenn man bei einem Schampus auf der Vernissage mal eben noch die guten Gründe für den Samstagsbrand in einem gegnerischen Gotteshaus mit schwungvollen Worten feiert.
Ich nehme an, diese Leute wären selbst schockiert, wenn man sie als Sympathisanten bezeichnen würde. Denn sie sind ja eigentlich Soziologen, die uns erklären wollen, warum das, was da passiert, unausweichlich ist. Naja, und das ist es dann wahrscheinlich auch, wenn es sogar schon Gesetze gibt, die es nicht nur erlauben, sondern geradezu als Erhaltungsgröße einfordern: Gewalt ist Fakt. Und jetzt gucken wir mal, gegen wen.
Herzlich Willkommen im 21. Jahrhundert!
‰