ALLöF WIRD GUT - Schreibtischtäter
Meine Anwältin schaut mich an, als hätte ich der Relativitätstheorie widersprochen. Entsprechend überzeugend klingt ihre Beschwichtigung, darum werde sie sich kümmern. Freilich nicht solange Sonntag ist. Während noch Sonntag ist, will sie sich erst mal selbst ein Bild von mir machen. Und meiner Situation als solcher. Sie stützt ihre Ellbogen links und rechts neben die Mappe und legt ihr Kinn auf die Handrücken, eine Geste, die auf lange Sicht beunruhigt. In einem Naturfilm über Insekten brachte eine Stabheuschrecke sich nach der Mahlzeit in eine solche Verdauungsposition. Sie hatte nach der Befruchtung ihr Männchen gefressen.
Hana Kattrin schlägt das Dossier auf und bügelt mit dem rechten Daumenballen einen Falz ins Papier, damit der Kloben offen bleibt. Dann schwingen ihre Pupillen über den Zeilen wie ein Kugelstoßpendel auf dem Schreibtisch eines toten Kreativdirektors. Ich vermisse das metronomische Klack-Klack dazu. Eckige Zeit vergeht mit eckigen Gedanken. Was tut die Frau? Jetzt gerade? Was geht in ihrem Schädel vor? Die Antwort könnte ein tibetanischer Bergmönch geben: Nichts. Heuschrecken haben ganz eigenartige Gesichter, weil man ihre Augen nicht als solche erkennt. Und ihre Münder haben immer was zu tun. Ich vermisse Antennen auf Hana Kattrins Kopf. Ganz unbemerkt faselt sich eine Frage aus ihrem Gesicht: Wer ich denn bin, wenn nicht dieser Safi Raid? Und meine Antwort geht im Geblätter unter. Keine Adressfeststellung, kein Ausweis, kein Führerschein, Handy außer Funktion, Feststellung der Personalien auf ganzer Linie gescheitert.
Ich denke, ich lasse die Anwältin erst mal zur Ruhe kommen und das Drumherum auf sie wirken. Und die Leere in ihrem Kopf Gestalt annehmen. Mir jedenfalls hat es geholfen, einen gewissen Abstand von der unsinnigen Geschäftigkeit der Welt da draußen zu gewinnen.
-- Fortsetzung folgt --
Anfang hier --
‰