ALLöF WIRD GUT - die Tür
Vor langer Zeit ist mir mal aufgefallen, dass man Dantes Göttliche Komödie als präzise Schilderung der verschiedenen Schichten von Trunkenheit auffassen kann. Jedenfalls so wie ich sie erlebe. Da ich mit Simon allenfalls auf Ebene zwei hinabstieg, erblicke ich allmählich wieder das Tageslicht. Es ist zehn nach zwölf auf dem Mond, im NDR und im Gemeinschaftsraum, als ich mich auf den Rückweg in die kümmerliche Realität meiner Zelle begebe. Dabei erweist sich die grüne Tür als abgeschlossen. Der Griff ist, wie konnte ich anderes vermuten, rund. Mich martert minutenlang, wie es scheint, die Unfähigkeit, mich dieser Herausforderung ernsthaft zu stellen. Ziehen, drücken, drehen, nichts.
4 von 3 Leuten haben Probleme mit Mathe. Und ich kann keine Sekunde mehr das dämliche Gequassel der Talkshow ertragen, ohne meinen Schädel an der Wand zu zerschmettern. Zwischen mir und der entspannenden Stille eine Tür ohne Klinke! Wie unendlich blöd muss eine Spezies sein, die sich selbst permanent Probleme erschafft, anstatt die schon vorhandenen zu lösen? Eine Tür, die sich nicht öffnen lässt, und das im Knast! Es ist ne Art von naivem Denken, die mich immer davon abhielt, die Wirklichkeit zu erfassen. Ich denke rein auf das praktische bezogen in einer Wirklichkeit, die exakt das Gegenteil tut und dabei ihre Ziele nie hinterfragt. Wozu das ganze? Ist die Frage, die sich in meinem Kopf ganz selbstverständlich ausgeblendet hat. Denn sowas überlässt man doch nicht den Tischlern, Schreinern und Schlossern. Eine Tür ist eine Tür ist eine Tür. Ein Loch in der Wand!
Und hier der philosophische Kern unseres Scheiterns. Meines Scheiterns. Dantes Hölle. Ich habe es immer noch nicht kapiert: Hier soll man nicht raus. Kalter Schweiß im Nacken. Es ist dennoch nicht so banal, dass man heulen müsste. Trost spendet wie immer das Gute, Edle und Schöne im Menschen. Eine Tür ohne Griff kann auch als Kunst durchgehen. Reine, in Stahl gegossene surreale Installation. Und die Glasvitrine mit Mördern wäre ein begehbares Artefakt, dessen ideeller Wert im Haus der Kunst Orgasmen auslösen würde. Und mittendrin ich! So schnell ist der wache Geist in seinem spirituellen Zentrum, wenn er sich sonntags morgens nur lange genug vor den Fernseher sperrt. Ich habe also längst gewonnen. Rein mental.
Wer das Scheitern an sich als Zweck der Übung erkennt, der kann nur gewinnen. Im Sport zum Beispiel, im Straßenverkehr oder im Leben. Das alles sagt mir die Türklinke. Wahrscheinlich erschwert mein Dilemma auch, dass ich einfach nicht auf die Idee komme, den vermeintlichen Lichtschalter zu drücken. Dann summt nämlich jemand von außen die Tür auf, und man kann sie wie gewohnt als Durchgang benutzen. Ja, der Mensch. Der Mensch hat die Atombombe erfunden. Und die Maus. Keine Maus der Welt wäre je auf den Gedanken gekommen, eine Mausefalle zu bauen. Die Tür öffnet sich tatsächlich. In der Kabine im Durchgang sitzen zwei Muffel und lachen sich scheck. Philosophie ist in mancher Lage der erste Schritt in die Depression, und Wodka ein schlechtes Heilmittel, denke ich. Aber die Kunst habe ich endlich verstanden. Einem Leben in menschlicher Würde steht nichts mehr im Weg. Wenn ich endlich hier heraus bin.
-- Fortsetzung folgt --
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