ALLöF WIRD GUT - Krabbenpulen
Alles in allem lässt sich nachträglich rekonstruieren, dass es in Kasachstan wohl irgendwen gibt, der aus Handys Zünder baut. Ich werde dazu noch ausgiebig Stellung beziehen … dürfen. Man ist recht freundlich zu uns, denn es gilt, wie man sagt, die Unschuldsvermutung. Man darf sie nicht mit Gutgläubigkeit verwechseln. Und beides nicht mit einem reinen Gewissen. Die Handys stammen aus Amsterdam. Das liegt in Holland. Somit im Schengen-Raum, wie auch die Haftanstalt, in die man mich verbracht hat, im Schengen-Raum liegt. Aber im deutschen. Paneuropäischer Vollzug. Es kann möglicherweise zu einer Überstellung kommen. ⟩Irgendwohin⟨, so etwas weiß der Himmel. Ganz sicher wird es zu einer Übernachtung kommen. Möglicherweise auch mehreren in Folge.
Ein Zollvergehen ist überwiegend nicht Sache der Polizei. Somit habe ich auf ein reines Gewissen nur den Rechtsanspruch, den der Schutz der Binnengrenzen zulässt, und darüber sind die letzten Worte nicht gesprochen. Der Zoll ist eine eigene Behörde. Die üblichen Zuständigkeitsprobleme. Immerhin lerne ich bei einem ersten kurzen Interview am Sonntag Morgen gegen fünf in einem fensterlosen Raum von einem humorlosen Beamten, wie man den Vorgang nennt, Handys auszunehmen. Speicherinhalt und Daten, SIMs, Hardware und Zubehör: ⟩Krabbenpulen⟨.
In diesen blumigen Formulierungen sind die Spezialisten vom Grenzschutz kompetent. Sie haben ihr Stethoskop direkt an der Brust der organisierten Kriminalität und die wiederum eine bildreiche Sprache. Und all die Kompetenz, die der Zoll auf diesem Gebiet nun hat, mussten sich Menschen in mühevoller Kleinarbeit aneignen. Vornehmlich nachts, in unbezahlten Überstunden oder in Schulungskursen, die sie hoffnungslos überqualifizieren. Kurzum, die Zöllner sind durch die Bank stocksauer, wenn sie dann endlich mal auf einen Verursacher für all ihr Unbill treffen. Ungeregelte Arbeitszeiten, zum Beispiel. Und es schwillt ihnen der Kamm, wenn der Delinquent sich dann auch noch dumm stellt und so den Wissensfluss blockiert, den sie über unser verbrecherisches Wirken angesammelt haben. Und damit die Überstunden zunichte macht, die sie an Wochenenden wie diesem in die Austrocknung der grenzüberschreitenden Kriminalität gesteckt haben, anstatt zuhause in Frau und Kinder.
Ich halte es für besser, über den Vorfall zu schweigen. Wird einem auch jeder Anwalt bestätigen, dass ein Wort in einer solchen Lage eins zu viel sein kann. Schon als Schüler lernen wir ja vor allem erst mal, so wissbegierig zu nicken, dass der Eindruck entsteht, man hätte den größten Teil des Stoffs schon verstanden. Latein, zum Beispiel, Dominantseptakkorde, partielle Integration. Nur die Details seien uns noch nicht bis ins letzte klar. Das motiviert die Wissenden, uns gnädig ihre Arsenale für Pedanterien zu öffnen. Lächelnd also zurück in meinem Samstagabendproblem lerne ich, dass das Recycling von Elektronik wie das industrielle Vorbild aus der Schrimpsfischerei in Nordafrika abgewickelt wird, und dass ich im Kalkül der Grenzschutzexperten so etwas wie der Kurier, Hehler oder Schwarzmarktspediteur bin. Was ganz herrlich mit meinem aktuellen Reiseziel korrespondiert. Just in Time - geklaut und ins Nachbarland. Unschlagbare Indizienkette.
Aber »Haha. Haha. Ich war nie im Nachbarland«, doch das fällt wie alles andere ins Metier der Unschuldsvermutung und damit unter den Tisch. Aus Sicht der Niederlande bin ich im Nachbarland. Und aus Sicht der deutschen Kollegen war ich dort. Ganz sicher aber der Toyota. Außerdem habe ich keinen Ausweis dabei. Und keinen Führerschein. Und irgendwie ist es auch sonst mit Papieren mau. Kein Wunder, die Papiere liegen bei mir zu Hause. Sicher ist sicher.
-- Fortsetzung folgt --
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