Sagen Sie noch nichts!
Deutsche Autoren können keine Dialoge schreiben – sagt die Fachwelt zu einer Erstausstrahlung im Deutschen Fernsehen. Frenetischer Jubel schallt auf der anderen Seite. Wie kann diese unterschiedliche Bewertung sein? Nehmen wir mal an, es gäbe feminine und maskuline Dialogik, etwa so (wer ist was):
- Hast dun siebener Pfostenstecker für den Grunch-Schwabbel?
- Gibt’s nicht, Alter. Am Grunch istn sechser Kornkranz dran. Die Pfostenstecker sind schon lange nicht mehr erlaubt.
- Warum das denn?
- Wegen dem Kreuzeckenverschleiß. Da hast du zu viele Kontaktfehler.
- Seit wann denn das? Ich hatte noch nie ...
- Ach, Kerl, das ist schon seit der vorletzten WM. Ich hab damals den 127-Zöller aufgehängt. Da gabs schon nur noch Kornkranz am Grunch. Im Endspiel ohne Schwabbel. Und die mit den dicken Titten an der Info im Baumarkt sagt mir noch, ich soll nachm Euromarkt gehen, da gäb es noch Restposten. Aber ganz vielleicht. Die hatten auch nix.
- Wie, die mit den schiefen Zähnen?
- Nein, die mit den Titten, sag ich doch!
- Mit dem Piercing an der Nase?
- Piercing? Und ich dachte, da stecktn vierer Spax fest!
- Haha.
(im Gegensatz dazu)
- Hast du mal Feuer? Ich muss mein Feuerzeug irgendwo liegen gelassen haben.
- Da würde ich mal bei meinem Freund in der Tasche gucken.
- Nee, da kuck ich nicht rein.
- Wer weiß, was man da so findet, was?
- Was meinst du denn damit?
- Nichts. Keine Ahnung, was dein Freund so alles in der Tasche hat. Meiner sammelt Feuerzeuge.
- Männer!
- Und wieso guckst du bei deinem Freund nicht in die Taschen? Ich meine, ich gucke ja auch nicht bei meinem Freund in die Taschen ... aber da sind trotzdem immer drei Feuerzeuge drin. Mindestens.
- Hahaha, und woher weißt du das dann? Wenn du nicht reinguckst? Sind die Hosen so ausgebeult? Haha.
- Hihi, nee, das weiß man doch. Sag mal, hast du dir die Haare gefärbt? Jetzt sehe ich das erst. Die sind so bläulich. Das ist mir auch mal passiert. Ich hatte sone neue Tönung im Haar von L'Oreal und dann ging das Telefon, und hinterher war alles blau.
- Das ist Nightshadow Fluorescence. Das soll so sein. Ich hab hier den Deckel ... ach, da ist ja mein Feuerzeug.
- Wo war das denn?
- In meiner Tasche.
- Steht dir aber gut.
- Wie, das Feuerzeug?
- Quatsch, der Farbton.
- Danke.
Der maskuline Dialog ist zielgerichtet und sachorientiert. Titten, WM, Schwabbel sind konkrete Anknüpfungspunkte, die gut sichtbar im Regal ausliegen. Frauenthemen hingegen abstrahieren oft, bewegen sich im Konjunktiv: würde, sollte, sollte nicht. Sie kreisen häufig um ein ungenanntes Kernthema (na, wie sehe ich aus mit meiner Zigarette?). Während der Kern des maskulinen Gesprächs relativ zügig / zotig und beiläufig ins Gespräch geworfen wird (die mit den Titten), bleibt (der mit den ausgebeulten Hosen) anonym und gesichtslos.
Frauen steigern sich in Dialogen häufig in den Abtausch von Willensbekundungen hinein, während Männer die Basis gemeinsamen Wollens bereits als geltend voraussetzen: zur WM den Flachmann aufhängen. Kompetenzfragen spielen im weiblichen Dialog kaum eine Rolle. Es ist gleichgültig, ob ein Feuerzeug im Baumarkt korrekt als Kleinflammgerät bezeichnet werden muss oder aktuell der EU-Norm entspricht, es zählt das Nichtdasein als hinreichende Basiseigenschaft. Umgekehrt bei den Männern. Dort ist das eigentliche Objekt komplett austauschbar oder unwichtig, solange der Determinationskonflikt thematisiert wird.
Zum Höhepunkt eines maskulinen Dialogs werden die Sätze kürzer bis einsilbig. Dramaturgisch kaum zu überbieten sind Passagen, die sich auf Sportkommentatorenniveau herunter dimmen: Ach watt, Woher denn?, Steilvorlage, Lass stecken. Umgekehrt deutet der feminine Talk per Phrasenlänge auf Intensität hin. Je wichtiger ein gemeinsamer Gesprächsgegenstand, um so näher tritt der Fokus der direkten Mitteilungsebene an die Sprecherin heran: Feuerzeug, Zigarette, Schuhe, Haare, Bauchschmerzen, Lippenherpes. Diese Themen werden immer in einer umfangreich modulierten Dolby-Surround-Story verpackt.
Umgekehrt bei Männern. Je näher das Empfinden zu einem hintergründigen Gesprächsthema, umso enger schmiegt sich die vordergründige Gesprächsebene an die Kernthemen emotionalen maskulinen Empfindens wie Fußball, Autos, Bier und Brüste. Das Gespräch verknappt. Männer grenzen gern durch Sprache Minderheiten aus – Frauen zum Beispiel, baumarkttechnische Analphabeten und sportlich Desinteressierte. Frauen leisten den Ausgrenzungsprozess durch Common Sense über Beziehungsstatus, Heimlichkeiten im Emotionalbereich oder Selbstdarstellungsraffinesse.
Hier lässt sich erkennen, warum ein geschlechtsübergreifender Dialog scheitern muss – oder einer, der von der jeweils anderen Geschlechtsgruppe abgehört wird (Mann im Damenklo) – ganz besonders aber einer zwischen männlichem Interviewpartner (Politiker, Künstler, Sportler) und einer weiblichen Journalistin, wenn der Interviewte zu Geschlechtsgenossen spricht, dabei einer Frau gegenüber sitzt und sie auf sein Geschwätz angemessen reagieren muss, um dem Redakteur nicht zu mißfallen und gleichzeitig ihre eigenen Zuschauerinnen zu beeindrucken, wie gut sie mit dem Walroß im Studio fertig wird. Solche Dialog konnte nur Loriot bewältigen.
„Nein, Hildegard, sagen Sie noch nichts! Es gibt Augenblicke im Leben, wo die Sprache versagt, wo ein Blick mehr bedeutet als viele Worte.“
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