Zählpixel
Die VG-Wort hat ein eigenartiges System entworfen, um Bloggern ihre Arbeit zu vergüten. Es funktioniert im wesentlichen so: Man schreibt ein Blog, dessen Artikel länger als 1.800 Zeichen umfasst. Diese Artikel müssen (je nach Abrechnungsjahr) öfter als 1.500 Mal gelesen werden. Den Nachweis dazu führt ein stichprobenartiges Prüfsystem und der Blogger selbst. Dann meldet man sich bei der VG-Wort an, hinterlegt seine Daten, die Seiteninformationen und bezieht eine Liste mit sogenannten Zählpixeln. Man muss darauf achten, dass alle gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind wie Impressumspflicht und - ganz wichtig - der Hinweis auf die Verwendung von Cookies (denn die Zählpixel nutzen diese Technologie). Dann klingelt schon die Kasse.
So weit so kurz und ungenau. Das gesamte Verfahren erklärt die VG-Wort unter dem Stichwort T.O.M am besten selbst. Man kann sich das Verfahren auch hundertfach von Bloggern erklären lassen ... in Artikeln, die jeweils etwas mehr als 1.800 Zeichen haben ... und ein Zählpixel. Gut, gut. Was ist ein Zählpixel? Nun, man kann sich das in etwa so vorstellen wie ein winziges Bild mit eindeutigem Namen, das aus nur einem Pixel besteht und auf einem speziellen Server hinterlegt ist. Jedesmal, wenn dieses Pixel aufgerufen wird, weil die Seite aufgerufen wurde, dann zählt der spezielle Server einen Zugriff. So merkt der Server, welcher Blogger gerade gelesen wird. Das Pixel selbst sieht der Leser nicht. Es ist noch besser als ein Wasserzeichen als unsichtbar markiert.
Was lernen wir daraus? Dass es durchaus gewürdigt wird, Text im Internet zu veröffentlichen. Und dass die Arbeit der Autoren auch Anerkennung findet. Und dass man am besten IT-Experte ist, wenn man schreiben will. Und dass man am besten Steuerfuchs ist und Marketingingenieur und Networker erster Klasse. Das bestätigt auch ein Blog, das sich kühn mit der Firma Schriftsteller am eigenen Arbeitsplatz befasst. Von einem halben Dutzend unabdingbarer Voraussetzungen, die man mitbringen sollte, um eine Schriftstellerfirma zu gründen, lautet keine einzige, dass man Geschichten erzählen kann. Geschweige denn, überhaupt welche hat. Tatsächlich verweist man großzügig auf den Nachahmerwert, zu lesen, was einem gefällt, und das dann genauso auch zu schreiben.
Ich glaube, es stimmt. Aber was viel schlimmer ist: es ist eigentlich wurscht, ob oder ob nicht. Denn solche Artikel werden nie von Autoren geschrieben, die erfolgreiche Schriftsteller sind. Warum sollten sie? Sie werden geschrieben von Bestsellerautoren, die schreiben, wie man Bestsellerautor wird. Erinnert ein wenig an den Bestsellerautor Konz - wir erinnern uns: Steuertricks. Die neue Werde-Glücklich-Werde-Schriftsteller - Literatur scheint besonders als Weichware hoch im Kurs, und ich möchte drauf wetten, dass alle Autoren dieser Ratgeber von der VG-Wort Tantiemen erhalten. Und nicht zu knapp. Die Leser der Blogs wundern sich dann wohl in Portionen zu abgezählten je 1.500, dass es nun ausgerechnet bei ihnen nicht klappt. Und das, obwohl Wordpress schon alle Voraussetzungen mit an den Start bringt, um gleich auf ganz hohem Niveau einzusteigen.
Geld ist ein zirkuläres Medium, das darf man nie vergessen. Es kommt nie an. Man muss es in Bewegung halten. Das bedeutet auch, dass man kein Geld (Gold) aus der Erde graben und dann irgendwo deponieren kann (auf dem heimischen Konto zum Beispiel). Man zeigt den Goldgräbern am besten den Weg zur ergiebigsten Ader und trägt dann den Gewinn aus seiner bescheidenen Wegweisertätigkeit in die Aktiengesellschaft, die Spitzhacken herstellt, die Dividenden auf die Bank und dort ... ja, lagert auch das Gold. Wenn nicht zwischen den Zähnen.
Es ist aber trotzdem sinnvoll für Menschen, die ohnehin bloggen, redaktionell oder nicht, dass sie von den Möglichkeiten wissen, ihre Arbeit zu vergüten. Denn das Geld wird ohnehin eingetrieben. Es wird nur jeweils anders verteilt. Diejenigen, die Blogs lesen, in denen erklärt wird, wie man Blogs finanziert, werden finanziert von denen, die Blogs schreiben und nicht wissen, was die eigene Arbeit wert ist. Der Leser weiß es ohnehin nicht. Sonst würde er sich ein gedrucktes Medium kaufen. Ab und zu wenigstens. Letztendlich ist allerdings dann doch wieder interessant, was gelesen wird und was nicht. Ganz unabhängig davon, was gekauft wird und was nicht.
Zum Vergleich: dieses Notizblog wird viel gelesen. Aber nicht annähernd so intensiv, dass die VG-Wort sich dafür interessieren könnte. Wenn ich in einem Artikel erkären würde, wie man die T.O.M - Zählpixel häckt, hm, dann käme ich wohl locker über die 1.500er - Marke. Aber dann bräuchte ich das ja auch nicht. Paradox. Deswegen werde ich es hier auch nicht erklären. Praktizieren sowieso nicht. Aber man kann ja drüber nachdenken. So wie über die Lottozahlen vom nächsten Samstag.
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