Milchkuh Burnout

Gut, weiter! die Sache mit der Datenbank kläre ich bei Gelegenheit – mit dem VorderladerIch will mal was über den Literaturbetrieb erzählen. Stellen Sie sich ein großes Gebäude vor! Es könnte ein Zellentrakt sein oder ein Palais mit Durchgangszimmern. Wesentlich ist, dass lauter Räume aneinander grenzen, in denen jeweils eine Person zu Hause ist. Das ist die Literaturlandschaft. Ein Autor / eine Autorin kommt die Treppe hoch und klingelt an der ersten Tür. Es gab Zeiten, in denen die erste auch die einzige war, aber jetzt ist es eben die erste. Und alle anderen Türen liegen nach dem Umbau hinter der ersten. Durchgangszimmer.

An der Tür passiert erst mal lange nichts. Der Neuankömmling beschäftigt sich mit den Hinweisschildern, auf denen steht: Reichen Sie Ihr Manuskript nicht direkt bei uns ein, übersenden Sie uns auf Nachfrage ein aussagekräftiges Exposé von dem und dem Umfang, Zeilenabstand, der und der Wortanzahl. Aussagekräftiges Foto** möglichst ohne Brille und BH. Bei Interesse melden wir uns bei Ihnen. Man bewundert die Messingtäfelchen mit wohlklingenden Verlagsnamen, schiebt verstohlen sein Exposé durch den Briefschlitz, und hinter dem Briefschlitz steht möglicherweise ein Mülleimer. Vielleicht aber auch nicht.

Vielleicht auch nicht - ist die gefährlichere Variante, denn sollte das Manuskript gelesen werden, läuft es ab diesem Zeitpunkt Gefahr, kopiert, zerstückelt, plagiiert zu werden. Ab diesem Zeitpunkt ist das Manuskript tatsächlich auf eine besondere Weise öffentlich. Allgemeingut. Nun ist dies ja seit jeher die proprietäre Art der Öffentlich-Rechtlichen, Stoffe zu sammeln, der Buchautor / respektive die Autorin rechnet nicht damit. das ebook kommtWeil er und sie die Geschwindigkeit nicht kennen, in der elektronisch gedruckt und verworfen wird. Ihr Manuskript kann schon kopiert worden sein, bevor es hinter der Tür zu Boden fällt.

Doch jemand hebt es heute auf, betrachtet es, liest es und mag es. Was tut dieser Jemand nun? Er oder sie klopft an der Tür zum Nebenzimmer, vernimmt von dort ein: „Muss das jetzt sein? Ich bin mitten in der Besprechung!“, vermeldet in drei kurzen Sätzen, sein / ihr Anliegen, das der Person zwischen den ersten beiden Türen, bekommt als Antwort eine Fristverlängerung zur nächsten Buchmesse und darf nun begründen, was an dem von der Straße aufgelesenen Exposé so gutes ist, dass man es durch die zweite Tür reichen könnte. Oder sollte. Hinter dieser Tür hört man Stöhnen: Ja, gib’s mir, Baby! Das ist gut. Das ist gut. Das ist gut. Das ist sexy. Dort wird nämlich gearbeitet. An einem Manuskript oder der Imagekampagne der Erschreiber. Ab der zweiten Tür wird nur noch gelesen, was mindestens zwei unabhägige Gutachter empfehlen. Denn für alles andere bleibt keine Zeit.

Die Person hinter der ersten Tür ist also zunächst Mal auf verlorenem Posten. Leichter ist es, das gute Stück dem Wunderkindautor XYZ zu stecken, der ständig auf der Suche nach zündenden Ideen ist, seit er den Puls der Zeit gefühlt und die Memoiren seiner Kindheit zwischen lesbischer Liebe der Geschwister und Männlichwerdung im Internat in so treffende Vokabeln bannte, dass der Verlegervater nicht anders konnte, als ihn zum Jahrhndert-Talent auszurufen. Der marschiert geradewegs durch alle Türen durch, ohne anzuhalten. Auf dem kürzesten Weg. Nun ist also die Frage, ob das Gute am Buch im Exposé des unbekannten Absenders ausreichend taugt, um Arbeit zu investieren, die einem auch der Gerichtshof abnehmen könnte, wenn es in zweiter Instanz um den Plagiatsprozess gehen würde, der erwartungsgemäß zu einer Stillschweigen verpflichtenden Einigung führte. Es herrscht anhaltende Themendürre. Da sieht sich sowas locker. Also plündern oder originär bleiben?

Meine Güte, wir machen doch keine Charity! Wir machen Bücher. Die Person zwischen den Türen setzt sich allerdings zwischen die Stühle, schreibt ein Gutachten und reicht es durch Tor zwei. Weil sie Überzeugungstäter/in ist. Weil sie gute Geschichten liebt. Dort fällt das Gutachten zu Boden, die Geschichte über die Geschichte, während die in ihren Aktenbergen erstickende Person zwischen den Türen zwei und drei ihre Zugpferdautorin aus der Schreibblockade zu reißen versucht, die sich nach dem Megaerfolg der Vampirliebereihe eingestellt hat, und jetzt, wo auch die Igelflüsterer abgefrühstückt sind und nicht ohne mein Kamel die Wüstenlilie jenseits der Heimat aus Afrika zurück gejettet ist in den unverdienten Luxus der Kammerzofe, suchen beide verzweifelt – auf dem Fußboden – nach einem beflügelnden Stoff für die Zukunft der Literatur außerhalb der schalltoten Wände von Klagenfurt. Und nach dem Höschen der Autorin.

Und hinterlassen dabei ihre Fußabdrücke auf dem Gutachten zum Exposé des Manuskriptes, das ohnehin kein Mensch mehr wieder erkennen würde.

So geht es Tür für Tür durch eine endlose Reihe von Räumen, in denen Einzelschicksale schlummern von Menschen, die die Literatur zu Grunde gerichtet hat und gesichtet haben, bis hinter der letzten Tür in der ‘eisernen Instanz’ schließlich die konturlose, kulturlose, leblose und emotionslose Buchhaltung auf den Ja- oder Nein-Button drückt. Und wenn es Freitag ist, der Programmplatz frei, allesamt gut gelaunt in der Hütte, alle Fußballspiele auswärts gewonnen und die Erfolgsautoren rund um ihre Entzugskliniken inspirert im Grünen wandern, die Verlagscomputer gerade nicht abgestürzt oder ihre User ‘gerade bis zum ... außer Haus, in dringenden Fällen wenden Sie sich bitte an ... (Tür 1)’ sind, dann ...

... wird ein Buch gedruckt.

Ich rede hier, man merkt es unschwer, über die ‘großen Publikumsverlage’, aber welcher Leser guckt schon ins Impressum, wenn der Autorenname stimmt und das damit verbundene Image im Freundeskreis verankert ist? Also, wen interessiert schon der Verlag?! Die kleinen Verlage haben die Aufgabe, permanent mit am Anschlag der Kräfte zitternder Drehzahlnadel Autoren zu suchen, zu erschaffen, fördern, lektorieren, auf Lesungen zu schicken, aufzubauen, bis irgendwann einmal ein Talent aus dem Flusskies gewaschen ist, das noch nahezu ungeschliffen in die Fänge der nächsten Zunft gerät. Die Headhunter der Kunst- und Kulturszene picken nämlich aus großer Höhe auf die Beute gierend geduldig die Rosinen aus dem Verlagskuchen der Kleinverleger, bevor einer der kleinen Verleger auch nur den Hauch einer Chance hat, an seinem Zögling zu verdienen. Das geschieht mit der Umsicht des Gärtners, der mit grober Schere die Hecken stutzt, um die Lieferanten gerade nicht zu Grunde zu richten, weil sie ja weiterhin als Milchkühe dienen müssen, sonst dörrte die Szene aber sowas von rapide aus, dagegen ist die momentane Landschaft eine Wüstenoase.

Am liebsten würden die Agenten jetzt die Talententdeckungen vertraglich zum Nichtschreiben verurteilen, für ihre Enthaltsamkeit abfinden und ihre Manuskripte verschwinden lassen, denn nichts irritiert den Buchmarkt so sehr wie neue Ideen. Aber kaum was irritiert den Kunden weniger, als zu erfahren, dass es wieder mal nichts neues gibt. Also hat man analog der Schneiderei die Mode erfunden und die Wunderkinder. Man muss sich die Zeit nehmen, die Prospekte der größeren Verlagsketten nach dem Stichwort Wunderkind der Literatur abzusuchen. Einem Wunderkind kann man auch verzeihen, wenn das erste Buch nicht gleich – sagen wir mal – irgendwas zu sagen hat, oder ein bißchen an einen Schulaufsatz über den Zeitgeist der vorletzten Jahrhundertwende erinnert, einen Hauch von schwüler Schwülstigkeit enthält. Die Jugend ist ja so. Hochbegabt. Von dem/der kriegen wir noch viel zu lesen. Eine Ansage, die es in sich hat. Die Paletten für die Bücherstapel sind schon genagelt, bevor der erste Verriss kommen kann. Und der Anfang vom zweiten Buch getippt ist.

Mittlerweile hat nämlich der Literaturbetrieb noch eine weitere Firewall zwischen lästigen Leserwünschen und den lästigen Autoren eingerammt, die Agenten. Und die tun eigentlich kaum was fürs Buch, auch nicht unbedingt was für Autoren. Sie verstehen sich als verlängerte Marketinghand der Programmchefs in Verlagen und tummeln sich somit gern auf dem Spielplatz des Autorenimages. Ein vernachlässigtes Feld in einem Land, in dem von noch lebenden Autoren noch Soziokrimis geschrieben wurden, Frauenromane und ähnliches Getier, das auf Lesungen in der Fachschaft der Humboldt-Uni in selbstgefilzten Pantinen zum Vortrag kam. Ein Autor muss heute mindestens Legastheniker sein, einen schwachsinnigen Gesichtsausdruck mit wollenen Ohrenschützern einrahmen und flüssig Kleist und Adorno im Mittelhochdeutschen Original zitieren, eine Autorin sollte ähnliches tun, dabei aber möglichst die Idealbesetzung der Lolita geben und ätherische Kunstphrasen mit Jetsetgefasel verbinden wie ‘In Bayreuth gingen mir die Dominastilettos an der Hotelbar verloren, die ich beim Kampftrinken in Vegas gegen Steven King gewonnen hatte. Aber dafür war die Inszenierung fanatastisch. Ich habe meine Tränen live getwittert.’

Literatur liebt den Glamour. Und damit man nicht sieht, wo der gebauchpinselt wird, sind die Türen 1 bis 6 gut verschlossen. Die der Agenten sind jederzeit offen, aber die Agenten leider zur Zeit nicht da. Ihre Schreibtische aufgeräumt und sie selber auf Golfplätzen oder am Würstchenstand der Buchmessen bei der Imagepflege. Oder sie posten gerade aus Ägypten von ihrem dritten Urlaub im ersten Quartal Katzenbilder nach Hause und überlegen, welchem ihrer Autoren sie mit welchem der unverlangt eingesandten Manuskripte wieder Leben einhauchen können, falls die große Buchkette Nachschub verlangt, wie hieß die noch, diese Kette? Ja, und in der Zwischenzeit stapeln wir die Manuskripte von links nach rechts, bis der Altpapiercontainer voll ist und gucken mal die Kleinverlage durch, ob sich an dieser Front stofflich etwas neues zeigt.

Währenddesssen sitzt der Autor / die Autorin (des sogenannten unverlangt eingesandten Manuskriptes) zu Hause und wartet ungeduldig ab, dass jemand einen Blick in sein / ihr Buch wirft, der diesen Jemand vollends überzeugen wird. Das ist der Moment, in dem Houellebecq die Feder zückt und bitter skizziert, wie Mademoiselle Ecrivain hoffnungsfroh den kleinen Schlüssel an die Brust drückt, ängstlich zum Briefkasten am Gartenzaun geht, den Schlüssel herumdreht, die Augen aufreißt und – allen Ernstes hofft, es könnte da drin irgendwann einmal ein Brief stecken, möglicherweise sogar mit einer Zusage. Von einem richtigen Verlag! Wie traurig diese hoffnungslosen Verlierer sind, weil sie nicht einsehen wollen, dass ihr Geschreibsel schon längst aus einem Lkw irgendwo in den Vogesen in den Trichter eines Pulperührers zur Papierherstellung rieselt. Denn die Qualität zumindest der Fasern ist ausgesprochen gut und rechtfertigt das Recycling zu Büttenpapier, da die Absenderin ihrem Baby einen guten Start auf gutem Grund geben wollte. Und jetzt schließt sie ihr Postfach wieder zu, unwissend, was gerade mit ihrem Erstlingswerk geschieht, verkneift sich eine kleine Träne und denkt: Morgen. Morgen wird es was.

Der Literaturbetrieb ist eben keine Charityveranstaltung. Er ist ein Ponyhof. Möglichst in einer ehemaligen Kolonie in Südafrika, wo die Commissarios ihre schwedische Laune im Tausch gegen humanitäre Werte im Bett mit einheimischen Prinzen verlieren müssen. Und wenn das so nicht geht, dann bitte in der Vergangenheit, historisch oder in einem Vampirland, wo sich schwarz und weiß mit einem Biss versöhnen. Und die Unschuld biogenetisch im Blutbild nachweisbar ist. Stories, die niemandem einfallen müssen, weil sie der Computer von selber schreibt mit einem billigen Draftmode-Litcomposer. Wahrscheinlich haben wir mittlerweile mehr Ghostwriter für Promiliteratur als Schriftsteller für eigene. Warum auch sollte das anders sein?

Warum um Himmels willen sollen, wo wir so viele erholungsbedürftige Ärzte, ehemalige Bankmanager, Literaturstudenten, Drehbuchprofis und Werbekaufleute haben, auch noch Schriftsteller schreiben? Warum sollte Mademoiselle Ecrivain Bücher machen? Nur weil sie was zu erzählen hat, einen besonderen Blick auf die Welt und die kleinen und großen Dinge des Lebens, eine frische Sprache? Sie weiß ja nicht mal, was die aktuell gehypte Strömung im Litbiz ist. Kennt weder Namen noch Kommaregeln oder Zielgruppen. Sie ist nicht mit einem Bantu verheiratet, hat keine Karriere im Fußball oder einer Containershow absolviert, keine Gelder unterschlagen, Nicht im Knast gesessen oder in Somalia Kinder erschossen. Sie ist nicht mit Donald Trump verheiratet oder Anwärter auf den schwedischen Thron. Ja, wenn sie wenigstens taubstumme Finnin wäre, mit den Gorillas im Kongo gelebt hätte oder den Laufsteg wegen eines himalayischen Yeti verlassen hätte, aber sie ist Autodidaktin, liest, beobachtet und schreibt. Ende der Karriere an Tür eins. Gehen Sie nicht über Los, ziehen Sie sich keine Line in die Nase, keine Ereigniskarte und begeben Sie sich zurück aufs Gemeinschaftsfeld.

Wer Literatur machen will, muss zumindest talkshowtauglich sein, eloquent oder der Nice-Guy, dem man alles glaubt, weil er so aussieht, als liesse er sich noch mit dreißig seine Butterbrote von Mama schmieren. Er sollte Freunde bei Zeitungen haben, die ihn alle zwei Wochen auf ein anderes Podest hieven, Seminare und Workshops geben, die sich mit Plot, Urheberrecht und Promitratsch befassen, und er oder sie sollte bilingual sein, besser noch trilingual, um im Notfall jedes Gespräch mit einem Zitat nieder knüppeln zu können, das nur versteht, wer diese absolut witzige neue angesagte US-Serie im Original verfolgt und die noch viel witzigere Kopie davon in Isländisch. Schreiben tut man am besten Plattitüden, die nirgends anecken, auch sprachlich nicht und vor allem nicht die Erwartungshaltung verfehlen. Leser sind ja angeblich Gewohnheitstiere. Sie wollen den Stoff, der ihnen einmal gefallen hat, immer wieder lesen, in abgewandelter Form. Sie wollen den Skandinavienkrimi, den erfrischenden Witz von Vertretern von Minderheiten, die ihre eigenen Minderheiten in die Pfanne hauen. Wenn der das schon sagt ... dann muss das ja stimmen.

Soweit der Standpunkt der Verleger. Denn die wünschen sich, dass der Leser einen ihrer Namen abonniert und fortan Anschlussgebühren bezahlt wie beim Handyvertrag. Wer will denn, dass ein Leser jedes Buch auf die Goldwaage legt und nur kauft, was ihm gefällt?

Der Leser. Aber den interessiert das Business zuletzt. Egal.

Hast du schon den neuesten ... gelesen? Soll die Marketingfloskel Nummer eins werden, die panikerzeugende Frage, ob man noch upgedatet ist mit der aktuellen Version des Supertalents, das jetzt schon beim fünften Band ist. Denn die veralteten Versionen von ... haben kaum noch Support. Und der Kunde ist kein Leser mehr sondern der Befürchter, er könnte das neueste, über das alle Welt spricht, schlichtweg verpasst haben.

Klingelt’s?

Ja? Der Kunde, nicht Leser, stürzt sich auf den neuesten 600-Seiten-Schinken in wilder Panik, es könnte etwas drin stehen, das am Montag morgen im Kollegenkreis beim Kaffee besprochen wird und er/sie ist der/die einzige, der den Schmöker noch nicht kennt. Der ein Wissensmanko hat. Eine Bildungslücke. Eine literarische Zahnlücke, die jeder außer ihm selbst erkennt. Wenigstens in einer Produktreihe muss man immer auf dem laufenden sein. Ob’s gefällt oder nicht, ist wurscht. Vor allem, wenn es um politische Themen geht. Denn wer will denn bitte schön nicht mitreden können, weil er sich in Wahrheit gar nicht für die wahren Hintergründe einer Krise irgendwo auf der Welt interessiert? Wo das doch heute so schön schon verarbeitet ist in Romanen, die ganz unaufdringlich auf der Folie der schlimmen Entwicklung und der schrecklichen Situation, von der man viel zu wenig weiß, ein Einzelschicksal ... blabla. Gut, also lesen, möglichst immer alle Titel, die der Spiegel auf die Bestenliste setzt. Womit sie dann auch prompt Bestseller werden.

Und wer liest sie? Alle die, die nichts verpassen wollen. Stell dir vor, die deutsche Mannschaft gewinnt eine Fußball-WM, und du hast das Endspiel verpasst! Du wirst in zwanzig Jahren noch darauf angesprochen werden, die Augen aller Beteiligten werden glänzen, und du ... ja, bist zu spät gekommen. Also eine Aufzeichnung ansehen? Damit man mitreden kann? Im Falle der Literatur: du hast das Buch erst gelesen, als es schon auf dem Weg nach unten war und alle wußten, dass der Autor eine Facharbeit abgeschrieben hat. Er nennt das Recherche. Aber die erledigt ein anderer für ihn, daher konnte er das nicht wissen. Und jetzt, wo alle enttäuscht sind, ist deine Enttäuschung darüber, dass der Schinken rein vom literarischen Standpunkt aus gesehen, überhaupt nichts taugt, auch selbst nichts mehr wert, denn du hast ja das Auf und das Ab nicht emotional miterlebt. Du hast eine Aufzeichnung gelesen, keinen Live-Bestseller. Du bist ein Außenseiter. Also, wer liest die Bestseller? Jeder, der nicht Außenseiter werden will, weil er etwas liest, was (nur) ihm gefällt.

Und die Insider? Die lesen diese Bücher auch nicht. Sie gehen sie durch. Sie haken sie ab wie eine Programmzeitschrift in der stetigen Hoffnung, etwas zu finden, das man den Nicht – Lesern als Versäumnis unterschieben kann. Und wenn sie nichts finden, aber auch wirklich gar nichts, was sich lohnte, dann sind sie klammheimlich noch froh, nichts selbst verpaßt zu haben, das sie sich möglicherweise für den Frühstückstalk nicht merken könnten. Sie erfinden was und langweilen ihre Freunde damit. Ist das nicht großartig, wie es ... gelingt, die Öde und Langeweile des Autors in Worte zu fassen? Oder das zu wiederholen, was schon vor hundert Jahren jemand aufgeschrieben hat – und damals schon niemanden wirklich interessierte?

Literatur ist und wird auf diese Weise zu einer Veranstaltung einer gewissen oberen Mittelschicht. Sie wälzt Themen und Problemchen wie Sälbchen und Kosmetika für Leiden, die die wirkliche Welt nun eigentlich gar nicht kennt. Sie setzt Behauptungen über Dinge in die Welt, die nur Menschen mit einem fixen Verständnis von der Festigkeit, Wahrhaftigkeit und Bedeutung ihres eigenen Daseins glauben können. Eine Puppenstube, die sich um den eigenen Bauchnabel dreht und dort immer wieder eine kaum sichtbare, aber um so wichtigere kosmetische Falte entdeckt. Die Lamoryanz der Akademieleser, dass die Schlechtigkeit aus ihrer wundervollen Kulturblütenlandschaft einfach nicht weichen will. Und sich nicht anders erklären lässt als durch böse Geister, Gentechnik, Technisierung, IT und die fehlende Kraft, sich selbst dem Altersschwachsinn hinzugeben, aus dem Fenster zu klettern und nur noch Unsinn anzustellen. Damit ist auch die Sache mit dem Verfallsdatum dieser Literatur aus der Welt. Man schreibt einfach Bücher, die vor einem Jahrhundert aktuell gewesen wären, hätte sie damals jemand geschrieben, und labelt sie als zeitloses Werk.

Und dann kommt unerwartet Mademoiselle Ecrivains kleines Universum heraus, das so neu und unverbraucht ist, weil irgendwer im Gutachterbetrieb hinter Tür zwei die Exposés aus dem Raum der mittlerweile verzweifelten Kraft hinter der ersten Tür schlichtweg verwechselt hat, eine Werbekampagne drüber gezogen und alle staunen, was da neuerdings geschrieben wird. Per Zufall. Weil das eigentlich den Regeln des Business zur Folge gar nicht hätte passieren sollen. Und wenn jetzt nicht spätestens eine Lektorin hinter Tür eins vor die Tür gesetzt wird, um alle anderen wieder auf Linie zu trimmen, dann staunen alle, rennen los und suchen ... exakt das selbe noch mal und noch mal und noch mal und noch mal. Und so treten sie, wenn sie es nicht schon von vornherein in einer Schublade verschwinden lassen konnten, das Manuskript der Schriftstellerin vom Briefkasten mit dem Schreiben des Verlegers drin, das sie so glücklich machte, noch nachträglich dermaßen in den Dreck, dass auch nicht ein Fitzel vom Papier geeignet wäre, aus dem Manuskript später mal Büttenpapier zu schöpfen.

Denn die Karawane muss weiter ziehen. Immer mehr Kamele verdursten. Immer seltener werden die Oasen. Und die Multis im Nacken der kleinen Verleger peitschen auf die Lastentiere ein, bis alle nur noch hintereinander weg in eine Richtung latschen. Das Salz der Erde auf dem Rücken.

Und dann kommt ein Literaturkritiker und fragt: Warum meinen Sie, wird hier so wenig neues geschrieben? Gehen uns die Autoren aus? Oder die Geschichten? Oder die Leser verloren?? Die Antwort könnte lauten: Ja. Etwa mit der Wortmelodie, in der ein niedersächsischer Bauer über die Milchleistung seiner Schwarzbunten spekuliert: kann das mit dem Sonnenwind zusammen hängen oder der Klimakatastrophe oder haben die Kühe schlichtweg burnout?

Ja-a-a...