DAS (allerletzte) BUCH
Gott ist ein unzufriedener Schriftsteller. Seine Werke sind dennoch so zahlreich, dass er hin und wieder den Überblick verliert. Allen gemeinsam scheint es zu sein, dass sie unvollendet bleiben, weil der alte Mann am ewigen Schreibpult so unendlich experimentierfreudig ist und so ganz und gar nicht ausdauernd. Kaum hat er was begonnen, fällt ihm eine Verbesserung ein. Er vegisst seinen ursprünglichen Plan und schreibt schon an dem neuen. Der alte verwittert im unfertigen Zustand, während sich der Autor bereits um die Realisation seiner dritten Generation bemüht.
Dann wird ihm alles zuwider, er zieht sich schmollend in seine Stube zurück und vernichtet alles, was fertig oder unfertig am Boden lag, zertrampelt seine Schätze und kehrt schlussendlich von seiner Ruhestatt mit einer ganz neuen Idee zurück. Deren Unzulänglichkeit ihn alsbald ermüdet, quält und von der Vollendung abhält. Dann fasst er neuen Entschluss und greift tief in sein Repertoire. Er schafft das Gute, das Edle und das Schöne. Und erkennt, dass es weder gut, noch edel und schön ist, und ersetzt es durch ein anderes.
Das diesmal gleich von Beginn her schlecht, boshaft und hässlich ist. Doch auch daran verliert der Schöpfer bald seinen Spass. Hat er jetzt seine Bibliothek ruiniert? Er blickt zurück auf sein Regal, in dem versteinert die Mumien seiner Schaffenskraft schlummern und sich in ewiger Halbfertigkeit Versionen von einem großen Plane nennen. Aus einem gedanklichen Ei sei alles, daher müsse die Entwicklung auch ... Evo... Evo... irgendwas mit Evo... heißen.
Evozon? Evotionalie? Evoziert? Oder Eva? Ewi? Vielleicht würde es besser, nähme man noch ein klassisches Wort für die Lösung hinzu. Lyein? Charlie, der große Bibliothekar des Lebens, Darwin. Hätte er Whisky gebrannt, wäre vermutlich ein Darwhinnie aus ihm geworden. Charles gelang es endlich, die beiden großen Enden vom unvollendeten Ei und seiner Lösung zu einem ganzen zu biegen: Evo-lution!
Darauf hätte der Herr auch selber kommen können. Aber der fängt pro Tag etwas mehr als zehn Millionen Bücher an, die Kurzgeschichten nicht gerechnet, Fachliteratur, Science und Fiction, und schmeißt nahezu dieselbe Anzahl jeden Tag in den kosmischen Reißwolf hinein. Charles nun hat erkannt, dass es mit seiner Arbeit nicht so richtig vorangeht. Allerdings fehlte ihm wohl der Mut, die Sache in klare Worte zu packen. Denn wenn man der Hoffnung Ausdruck gibt, die seine Zeit insgesamt beflügelt, war vor etwas mehr als hundert Jahren der Foliant geschrieben.
Seither wird nur noch lektoriert und korrigiert. Und ab und zu mal was von Gottes Frühwerk aus dem Stapel der endgültigen Ablage gegraben. Das darin bestätigen soll, dass nicht umsonst das Hauptaugenmerk des Autors auf der Zukunft lag. Denn die Vergangenheit war zu robust, zu einseitig, glatt und brachial. Zu -hm- geistlos.
Nun wird allmählich immer mehr von Gottes Frühwerk entdeckt und offenbar, dass der Künstler damals wohl schon eine -vielleicht sogar göttliche- Idee gehabt haben muss. Nur eine Erklärung rettet den Archivar vor der Verzweiflung, ein Brand, ein Wasserschaden oder ähnliche Katastrophe hätte die Bibliothek in ihrem Urzustand unvermittelt verwüstet. Den Weltbrand überlebte Adam und seine Evaluation, wobei nur wenige Buchstaben auf dem Cover verloren gingen, und Noah den Wassereinbruch.
Die anderen Manuskripte sind teils auf Tontafeln enthalten. Hat sich der Herr das alles eine Lehre sein lassen, fertigt hin und wieder mal eine Sicherheitskopie an? Oder setzt sich endlich mal hin und schreibt auch nur einen seiner Romane zu Ende? Wie man hört, geht ihm gerade ganz anderes durch den Kopf. Eine neue Spezies, ein neues Genre, ein ganz großer Wurf. Irgendwas mit Kunst soll auf dem Arbeitstitel stehen. Kunst oder Künstlich. Und möglichst was mit Intelligenz.
Das wird ein Kracher. Dagegen sind die Saurier seichte Unterhaltungsliteratur aus dem Poesiealbum der Grundschulzeit. Das Internet der Dinge. Etwas, das einen so haptischen Namen trägt, dass es praktisch nicht mehr zu fassen ist. Gebt mir Papier, ich will es schreiben! Und Licht, mehr Licht!
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