Im Anfang war das Wort
Ich glaube momentan nicht an die Existenz der Außenwelt - sagte Basius Clandestinus, legte einen Folianten zur Seite, in dem er eben noch mit einer Hühnerfeder Notizen angebracht hatte, die er für bedenkenswert hielt, griff zum Tintenfass und setzte es sich an die Lippen. Einen Moment zögerte der Universalgelehrte, öffnete die Augen so weit, dass die roten dendrischen Gewächse seiner Adern die galligen Äpfel mit den einsamen Inseln seiner Pupillen noch einmal um ihre Weltkugeln zu zerren schienen wie Gefangene unter dem schweren Joch eines endgültigen Gedankens, dann wusch er sich die schwarze Tinte ins Maul. Das ganze beobachtete der Mönch im Spiegel seiner Laterne. Seinen Kehlkopf, der sich am Hals wie der Kropf eines brütenden Vogels hob und senkte, um die Jungen mit dem Ausgewürgten zu füttern, das ein von übermächtiger Kraft geschlossener Schnabel dennoch nicht freigeben wollte. Im Rachen kämpfte oben gegen unten. Leben gegen Tod. Gleiche Gegner, wie es schien. Doch die Kraft ließ nach. Abermals versuchte Clandestinus, die Tinte zu schlucken, doch schließlich förderte ein grässlicher Laut den breiigen Saft rückwärts über seine Lippen auf Hände, Tisch, Papier zurück. Der Laut glich dem Husten eines unterseeischen Kopffüßlers, eingesperrt in einem Korallenriff oder der gestohlenen Schale eines Ammoniten. Tief am Meeresgrund. Für einen Moment sah der Mönch daher auch den Dunst, der einen Octopus umgeben muss, wenn er sich in seine chemische Unsichtbarkeit flüchtet. Er umgab ihn wie Nebel, bevor er sich auf den Gegenständen niederschlug und die Welt in eine düstere Schleimwolke tauchte. Clandestinus wurde gewahr, dass sein Hustenreiz sich nicht erschöpfte. Allmählich nur gab die Intensität der dunklen Tröpfchen um ihn her nach und lichtete sich zu einem sämig-metallischen Dunst wie Großstadtnebel. In dessen Zentrum erkannte Clandestinus das feine Geflecht all seiner Adern vom Fuß bis zu der Stirn, wie es sich im Krampf verengte, als wolle jede Faser seines Körpers den schwarzen Trunk ausspeien, statt ihn zu schlucken. War er tatsächlich eine Molluske am Meeresgrund? Ein Gebilde aus Tentakeln, die ihr eigenes Wesen nicht erkannten? Gehirne, die um sich selbst kreisten, weil eine Hühnerfeder sie zerstückelt hatte? Der Inhalt eines giftigen Behälters? Das Ende der Klarheit durch vollständige Vermischung von Schwarz und von Weiß? Dann war es vorbei. Der Spiegel hinter der Kerze zeigte dem Alchemisten eine Zunge so schwarz wie die des Satans, eingerahmt von schrumpeligen Aschelippen. Sie lachten über den törichten Selbstversuch, das Innere nach außen zu kehren. War er gescheitert? Was hatte Clandestinus an der uralten Schrift mißverstanden? Sollte er seinem Hebräisch mißtrauen oder der Aufzeichnung eines Gelehrten und Vorgängers aus lange vergangener Zeit? Geschrieben in dieser mystischen Sprache? Hatte er sich geirrt oder war er gar bei dem Versuch gestorben? Clandestinus atmete flach und schnell, wischte mit dem Ärmel Schweiß aus seinen Augen. Entdeckte dann auf seinem Handrücken die schwarze Farbe, am Revers, auf der Tischplatte. Er blickte in das aufgeschlagene Buch ... und sah, was finstere Historie ihm übermittelt hatte. Er sah sich selbst. Der Schatten seiner Hände auf dem Papier, das Tintenfass noch so eben auszumachen. Feine Umrisse sogar noch zwischen dem giftigen Schwarz der abgebildeten Wolke, darin die unbefleckte Silhouette seiner tätigen Hände. Und die kleine Ampulle wie einen Stein, der von einer zur anderen Hand wandert. Alles im Scherenschnitt der schwarzen Gischt von trocknender Tinte. Hinter dem Schattenriss noch die biblische Kastenschrift und mittendrin ein Wort … Ich habe die Hölle ausgespuckt, dachte er.
‰