Der Urlaubsfranzose
Der Deutsche will vom Franzosen geliebt werden, aber er wird nur respektiert. Der Franzose will vom Deutschen respektiert werden, aber er wird nur von ihm geliebt.
So in etwa zitierte Birgit Holzer das Kernproblem im französisch-deutschen Verhältnis gestern Abend im Uniclub von Bonn. Sie muss es wissen, denn Birgit Holzer ist Korrespondentin der Presse für Frankreich. Die gebürtige Bayerin lebt und arbeitet in Paris, ist mit der politischen und sozialen Lage dort bestens vertraut und gab unter anderem auch im Auftrag der deutsch-französischen Gesellschaft einen Überblick über dieses Frankreich und dieses Deutschland, zwei Stühle, zwischen denen eine Korrespondentin unweigerlich sitzt.
Entmystifizierend also zunächst einmal die Einleitung. In Frankreich wird mehr Fastfood gegessen als prozentual in Deutschland. Es werden dort mehr Antidepressiva genommen. Die Mittagspausen sind kürzer. Ein großer Teil der Einwohner von Paris beneidet den Deutschen für die Möglichkeit, auf dem Land oder in der Provinz wohnen und arbeiten zu können. Frankreichs Zentralisation zwingt geradezu den Wohnort auf. Mit fatalen Folgen für das Wohlbefinden. Die Stadt der Liebe wird nicht von allen gleichermaßen geliebt.
Erst im zweiten Drittel ihres Vortrags wird die Rednerin auf die Banlieus zu sprechen kommen und die Frage der französischen Identität. Wer und was sind die Franzosen der ersten und der zweiten, möglicherweise der dritten Klasse aus dem Maghreb? Gehören sie dazu oder nicht? Sind ihre Vorfahren Gallier per definitionem, wie Sarkozy das gerne administrieren möchte? Und sind die Gallier überhaupt Vorfahren für irgendwen in der großen Nation?
Klischees sind genauso wahr wie ihr Gegenteil, betont die Korrespondentin, und von Klischees strotzt das Deutsch-Französische Verhältnis. Deutsche kennen, wenn sie diesen Fakt sorgsam betonen, im Nachbarn den Urlaubsfranzosen, Franzosen kennen, wenn sie ihn zu kennen glauben, im Nachbarn den Arbeitsdeutschen. So in etwa auch das Fundament eines Mißverständnisses, das im Grunde unser Zusammenleben und -wirken regelt, seit de Gaulle und Adenauer Verständigung übten.
In Frankreich steht ein Wahlkampf an, der dem Deutschen Politklima nicht ganz unähnlich ist. Die Wähler werden aufgerufen sein, das geringere Übel zu wählen. Politverdrossenheit mündet in populistischen Erfolgen; diese kommen auf dem Land zustande, wo die Arbeitslosigkeit über den durchschnittlichen 10% liegt. Hollande sollte den Patrioten Sarkozy heilen, versagte in einem Maß, das dem Vorversager als Steigbügel dienen könnte, um sich selbst wieder in der Sattel zu schwingen.
Gewinner im Spiel sind die ebenso korrupten Redenschwinger von Rechts. FN (Front National) und Marine Le Pen betreten den Tanzboden der Politik mit der gleichen Selbstverständlichkeit, mit der ihre Vorgänger die Strafanstalten verließen - mit weitgehend unbekanntem oder nicht existentem Wahlprogramm. Europa unter anderem steht am Pranger und natürlich alles Übel von Außerhalb der Grenzen. Die Trump-isierung der Debatten ist nur Teil eines bis voraussichtlich weit in 2017 hineinreichenden Ausnahmezustandes, der nicht nur Frankreich, vielmehr ganz Europa erfaßt hat.
Nennen wir es: die Angst und ihre Dompteure. Letztere sind komplette Jahrgänge aus Elitekaderschmieden, wenn jemand nach Gründen fragt, warum ausgerechnet Menschen mit beschränkten Wissensschätzen durch die Staaten reisen und ihre Dummheit öffentlich machen. Es sind nicht innere Werte, die dazu befähigen, sondern die elterlich geregelte Zugehörigkeit zu einem Kastensystem. In Frankreich weitaus stärker verbreitet als bei uns.
Der Absolutismus existiert dort drüben noch, und er feiert sich selbst. Kein Politiker, der nicht Grande in der Nation sein will und muss, Säbelrasseln und eine gewisse Selbstverständlichkeit, im weltweiten Gewaltpoker mit zu mischen. Das alles ist Frankreich, von dem wir so wenig kennen, weil wir so selten dort sind, und wenn, dann eben im Urlaub. Wie Recht sie hat! Am Ende zitiert sie noch einen Kollegen, der uns erklärt, warum Frankreichs Symboltier ein Hahn sein muss: Das einzige Tier, das singt, wenn es mit beiden Beinen im Mist steht.
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