Freiheit, Frauen, Sklaven und Metöken
An der griechischen Mythologie haben sich wohl ähnlich viele Machthaber bedient wie an der christlichen Bibel. Dabei darf davon ausgegangen werden, dass jeder einzelne die reichlichen Zwischenräume im mythologischen Skelett der Erzählungen auf seine Weise mit Fleisch gefüllt hat. So vor allem amerikanische Fiktionalisten das griechische Streben nach Demokratie.
Frank Miller ist der Autor vieler sogenannter Graphic Novels, oder um es verständlicher zu sagen, von Comicheftchen. Sin City zum Beispiel (basiert auf seinen / ist eine seiner) Geschichten. 300 ebenso, und damit wohl auch die gleichnamige historisch tiefschürfende cineastische Forschungsreise US-Amerikas nach den eigenen demokratischen Wurzeln und Werten.
Die Schlacht am Thermopylenpass ist dort das erste Fanal der Demokratie gegen tyrannisches Streben in der Welt. Und somit ein Kreuzzug gegen islamistisches Machtstreben überhaupt, das legitime Aufbegehren einer heroischen demokratischen Welt gegen den Vorläufer der fundamentalistischen Machtblöcke im mittleren Osten.
Musik! (Es quält sich ein Muezzin durch die Tonleiter), während Heere gepiercter, dunkelhäutiger Sarazenen mordend und schlachtend von ihren Schiffen steigen. Oder auf See frevelnd die Götter verspotten - also mehr oder weniger den einen, wahren Zeus und seinen heiligen Geist zu Wasser, Poseidon. Somit die den wahren Göttern treuen Nationalgriechen in ihrer einträchtigen Wertegemeinschaft, der Volkssouveränität.
Fehlt gerade noch, dass die Griechen blaue Helme trügen. Das ganze mehr als tausend Jahre, bevor der Prophet verkünden konnte, was die arabische Welt und ihre fehlenden Werte nach Ansicht der Comicheftchenschreiber schon 500 vor Christus zum Urbild des Bösen formte: Hass und Unmut auf alles Freie, Gleichgestellte. Der Sitz der UNO war damals noch die Akropolis zu Athen. Mal Hand aufs Herz!
Was wohl ein Grieche der Unterschicht in Argos, Theben, Athen, Sparta, Makedonien zum Stichwort Freiheit dachte? Nun, nicht viel, denn das Wort war ihm so wenig geläufig wie iPhone oder Freihandelsabkommen. Oder Nationalstaat. Der Stadtgrieche in Athen war so frei wie sein Geld langte. Auf dem Areopag verhandelte die gehobene Bürgerschaft über Sinn und Unsinn von Gesetz und Wort. Die Frau existierte in der Demokratie ohnehin nicht.
Metöken sind Miteinwohner. Geduldete Asylanten, wenn man so will. Ja, die klassische Demokratie hatte noch ein Wertegerüst, von dem Unternehmerverbände und Anlageberater heutzutage bestenfalls träumen können. Und das tun sie, wenn sie auf großartige Bilder zurück greifen wie Kassandra. Das weibliche Griechenideal ist stets eine Prinzessin, quasi so, als hätte es sonst keine Frauen gegeben, keine Kinder, keine Herde, nur Vestalinnen.
Es ist nicht leicht, freiheitliche Werte in Gesellschaften zu installieren, die sie nur selektiv gewährten. Eben weil der Entwicklung damals noch zweieinhalb Tausend Jahre fehlten. Von Karthago wollen wir nicht reden, denn die weiblichen Gottheiten hat Rom ja (ceterum censeo Cartaginem esse delendam) zum Zweck der grammatikalischen Illustration des Gerundivums restlos zerstört. Man darf sich ruhig an moderne Marionettenregime in Nordafrika erinnert fühlen.
Wenn das Kasten- und Rollenmodell im klassisch griechischen Rahmen betrachtet wird, fällt der Profi gern (da ja schriftliche Zeugnisse aus weiblicher Quelle selten sind) auf die besondere Stellung der Frau in Sparta zurück. Die Spartaner allerdings sind nicht gerade berühmt für freiheitliche und demokratische Werte. Aber eben sie sind diejenigen, die Frank Millers Kampf der 300 ableisteten.
Kurzum: Demokratie hat an den Thermopylen wohl am wenigsten eine Rolle gespielt. Und Athen? Allem Anschein nach saßen die freiheitsliebenden Griechen von Athen, während sie der Welt die Demokratie erfanden, gerade beim Geldzählen, während ihre Spartanischen Kollegen, denen die Freiheit des Einzelnen soviel bedeutete wie staatenbildenden Ameisen, die Thermopylen hielten.
So what? Nun, die Griechen legten sich mit den Persern an, nicht umgekehrt. Das taten sie, weil sie den Ioniern Kleinasiens Waffen lieferten, damit diese ihre Bündnispflichten dem persischen König gegenüber brechen konnten. Der Fall Milet. Es ist von zwanzig Schiffen die Rede. Diese Pflichten wiederum hatten die asiatischen Griechen freiwillig auf sich genommen, um sich gegeneinander und gegen Athen der Unterstützung durch lydische, später persische Machthaber zu versichern. Wenn man dann glaubte, Berlin sei weit, war so ein Bündnis das Papier nicht mehr wert, auf dem es geschrieben stand. Man brach es. Ionischer Aufstand.
Übrigens scheint die geografische Kenntnis der Aufständischen nicht so überragend gewesen zu sein. Ähnlich der heutigen Aggressoren, die zu einem Zeitpunkt Bomben auf Bagdad warfen, als vier Fünftel der Bevölkerung der Werfer nicht hätte sagen können, wo Bagdad denn nun eigentlich liegt. In welchem Teil der verruchten islamischen Welt. Gut, aber damals.
Der Perser, heiße er Dareios, Xerxes oder wie auch immer, konnte die Griechen nicht ungestraft vertragsbrüchig werden lassen. Ließ er es zu, brach sein Monsterreich zusammen. Er musste gegen die Bündnisbrecher zu Felde ziehen. Er musste Waffenlieferungen aus dem attischen Ausland unterbinden. Er musste sein Reich gegen derartige Angriffe schützen. Nicht die Griechen schützten ihre Freiheit, zu tun und lassen, was sie wollten, die Perser hielten ihre Weltmachtposition zusammen.
Naja, und da wären wir wieder bei der Landkarte. Die Ionier scheinen nämlich kurz einmal daran gedacht zu haben, das Perserreich zu übernehmen. Weil sie eben nicht wußten, von wo bis wo es reicht. Glaubhaft klingt das allenfalls für den, der die Rolle der Ionier als hauptsächlich nach Westen aufs Meer hin orientierte Handelsstädte ins Kalkül zieht. Sie dürften Ägypten, Palästina und die Küsten des schwarzen Meers gekannt haben. Vielleicht hatten sie wirklich keine Vorstellung, wie weit die Satrapien des Großkönigs reichten.
Diese Sache läuft stellvertretend mal wieder auf die alte Frage hinaus: Wer erzählt uns seine Geschichte? Zum Beispiel Troja. Ging es dort wirklich um eine Frau und einen Apfel? Und die Argonauten. Wollten sie einen Widder schlachten? Brachten die Griechen denen, die sie andernorts besuchen fuhren, tatsächlich Frieden, Freiheit und Demokratie? Unsinn. Sie plünderten wie dereinst die Wikinger die Küsten rauf und runter.
Zwei Meinungen. Von denen allerdings die Demokratiefabel einigermaßen unglaubwürdig ist, wenn man die alten Historiker liest. Wozu Demokratie verbreiten, wenn man Gold ernten kann? Die Frage jetzt auf diesem Hintergrund ist doch heute die: mit wem identifiziert sich eine moderne Großmacht, die Weltweit in entfernten Gegenden Kriege führt? Mit der einstigen Großmacht, die dasselbe tat (Persien) oder mit den Verteidigern ihrer Eigenständigkeit (Griechen)? Welche Bilder hängen wir an welche Wände?
Nun, was wäre Garibaldi ohne Griechenland, was Washington ohne Athen, und wen wollte Albert Speer kopieren, als er seine Aufmarschhallen schuf? Armes altes Griechenland, wie wurdest du mental geplündert? Und hast noch nicht einmal das Geld, deine Enkel zu vollwertigen Mitgliedern des modernen Brüsseler Seebundes zu machen, der doch angeblich auf deinen ethischen Werten beruht. Oder ist auch das nur ein Comic?
Der zitierte nationalstaatliche Gedanke übrigens ist eine Erfindung der europäischen Neuzeit. Er beruht auf ethnischer, sprachlicher und kultureller Identität (Homogenität: wir erinnern uns, dass man Milch homogenisieren oder pasteurisieren kann. Im nationalstaatlichen Gebilde wird die Homogenität gern durch Ausgrenzung erreicht). Historiker sprechen dann, aber zu selten öffentlich von einem Narrativ. Denn es wächst selten zusammen, was zusammen gehört. Das antike Griechenland war nie ein nationalstaatliches Gebilde. Am ehesten noch konnte Mazedonien dieses Ideal unter Alexander beanspruchen. Und zwar im eurasischen Raum - für sehr viel weniger als ein Jahrhundert.
Nun, der Balkan, und der Nationalstaat. Letztlich auch so ein Fanal, diesmal des zwanzigsten Jahrhunderts. Hielt der Auslöser des ersten Weltkriegs die Knarre auf den Thronfolger, um Serbien nationalstaatlich zu einen oder der Thronfolger die nationalstaatliche KuK-Grenze zusammen? War Titos Jugoslawien ein Nationalstaat oder der bunte Mix ein Abklatsch des Schmelztiegels USA? Vordem Sowjetunion. Eine Sprache, ein Land, ein Durcheinander. Ein Pass, ein Hass, kaum Verständnis? Aber zurück in die Antike und Griechenland. Mazedonien.
Auch Alexander brachte den Persern weder Christentum noch Demokratie. Was hatte eigentlich Frank Miller zu Alexander zu sagen? Gut, das ist alles hinreichend bekannt. Dachte ich. Auch dass Minderheiten erst zu existieren beginnen, wenn man Mehrheiten in einem nationalstaatlichen Ensemble etabliert. Was in der Türkei geschieht, wäre allerdings für Frank Miller und seine Adaptenten sicher kein Point of Interest. Denn auch Erdogan träumt vom Nationalstaat, möglicherweise in den Grenzen Alexanders.
Vielleicht sollte er sich erst einmal einen Comic dazu schreiben. Und vor dem Putsch in die amerikanischen Kinos bringen. Demokratie ist zu exotisch für die visuelle Welt. Meine Güte, wer will schon 120 Minuten lang Gesandte verhandeln und Abgeordnete disputieren sehen? Schwert raus und druff. Nur müssen die Parolen Demokratie und Nation möglichst oft gebrüllt werden. Am Beginn meistens des Geprügels, wenn ein gepiercter halbnackter selbsternannter Gott von seinem goldenen Elefantenthron herunter den Vasallen befiehlt, keine Gefangenen zu machen.
Dann stehen die Unterdrückten an der Kinoleinwand auf, um die von der Galeere der Hollywoodschen Fitnessstudios geformte Bauchmuskulatur in die Kamera zu halten und schreien laut: für Griechenland! Für Freiheit. Für Demokratie! Und röter die Fontänen aus Blut nicht spritzen. Es dient dem guten Zweck.
Ja, manche Geschichte/n liefern Steilvorlagen für die Gegenwart. Ob sich die Zuschauer dessen bewusst sind?
Was meinst du?, sagt Chief Schaf: Das ähnelt dem Witz mit dem Elefanten, der sich in Botswana ein Eis kauft. Und dann leckt er dran und sagt: Schmeckt genauso wie zu Hause.
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