Unbemerkt?

Die Wahrscheinlichkeit, durch einen Bienenstich zu sterben ist größer als die, einem Amoklauf zum Opfer zu fallen. Mit einem ähnlichen Vergleich wollen Experten Hysterien mindern, die sich im Anschluss an Taten wie die in München ereignen. Das Ergebnis ist niederschmetternd. Gerade liest man Zahlen zum Rückgang von heimischen Hotelreservierungen und Buchungen von Großevents. Man hört es im Telefon knistern und denkt an die Antiterrorgesetze, der BND und die NSA krempeln ihre Ärmel auf. Und nicht gegen Bienenstich.

Auch Erdogan hat seinen Rundumschlag, die Kurden Abwehrraketen, der halbe Nahe Osten Marionettendemokratien, und die USA ihren Trump. Parallel dazu mehren sich Kommentare, die den Vorlauf von Amoktaten analysieren wollen. Es geht ums Mobbing. Etwas weiter gefaßt: die Ausgrenzung von Personen aus einer Spaß- und Erfolgsgesellschaft. Fanatisierung scheint eher der zweite oder gar dritte Schritt einer Skala der Gewalt zu sein.

Ob tatsächlich Ausgrenzung zu diesen kopflosen Taten führt(e), scheint noch nicht hinreichend untersucht. Doch ist es nicht von der Hand zu weisen, dass die zumeist jungen Täter ganz unabhängig von religiösen oder sozialen Motiven, ob an der Schule, auf Konzerten oder an anderen Schauplätzen, meist die Ausgegrenzten sind. Die Heroisierung erfolgt nach Einschätzung von Psychologen erst posthum im Internet.

Bis zum Tag der Tat sind die Täter meist selbst Opfer. Psychologen bemängeln, dass dieser Umstand selten öffentlich diskutiert wird. Gründe dafür liegen auf der Hand. Natürlich will man den Tätern nicht die Absolution erteilen, indem man sie mit der Psychokarte freispricht. Natürlich soll niemand die Möglichkeit erhalten, noch nachträglich seine Tat durch das mögliche Fehlverhalten vielleicht sogar seiner Opfer rechtfertigen zu können in der Art: ihr seid doch selber Schuld.

Damit wird allerdings auch ein möglicherweise notwendiger Schritt zur Aufarbeitung verunmöglicht. Und somit auch zur Vermeidung von ähnlichen Fällen in der Zukunft. Nun schreien sie wieder nach einer Verschärfung des Waffengesetzes und gegen Videogames. Denn 80% der Täter sind Gamer. 80% der Opfer wohl auch. 100% der Täter aßen Brot, sagt ein Reporter skeptisch zu dieser Art der Fehlersuche und damit sind wir wieder bei den Bienen.

Gut, und eine große deutsche Zeitung will erfahren haben, dass der Amokschütze von München gemeinsam mit seinem Vater 1.000 Schuss Munition gekauft habe. Denn ohne den Papa sei dies nicht gelungen. Die 1.000 Schuss seien ein Geschenk an den Papa gewesen, der sich sehr gefreut habe.

Upps, fragt man sich: Moment mal! Wer hat da wem was erzählt und weiter gegeben? 1.000 Schuss Munition gekauft? Hat mal jemand versucht, mit seinem Papa 1.000 Schuss Munition zu kaufen, die er ohne Papa nicht bekam? Also, in den Rocky Mountains gibt es sicher Hardwarestores, in denen der Papa seinem Sohn Firearms and Equipment kaufen kann, aber in Bayern???

Was für eine Ente, aber die Zeitung hat einen Namen, also wird das geglaubt. Und wie kümmerlich klingt anschließend das Dementi des Vaters, er habe von der Waffe seines Sohnes nichts gewußt? Das sollte man mal überprüfen und beim örtlichen Waffenhändler nachfragen, ob man seinem 17-jährigen Sohn dort 1.000 Schuss 7.65er Fullmetaljackets kaufen kann, garantiert nur zum Spielen. Paintball und Videogames und so.

Also, Zynismus ist hier wohl nicht angebracht, aber diese Story hätte man sich sparen können. Anschließend war es dann nur noch eine Glock-17 und 300 Schuss Munition. Eine Glock ist übrigens ein teures Spielzeug für einen 17-Jährigen, ein gebrauchter BMW wäre möglicherweise billiger gekommen. Aber mit 17 kriegt man ja keinen Führerschein.

Der Bursche in Kauhajoki soll Computer, Waffen, Sex und Bier als Hobby im Internet angegeben haben. Sechs Jahre lang schien er seine Tat vorbereitet zu haben. Sechs Jahre sind eine lange Zeit, in der ein Computer-Waffen-Sex-und-Bier-Typ eigentlich hätte auffallen müssen. Und wie kommt ein Jugendlicher an eine moderne österreichische Faustfeuerwaffe?

Unbemerkt?

Mein Verdacht ist anders. Dass nämlich im Grunde jeder weiß, was vor sich geht. Über den BND wird berichtet, dass er ständig Dossiers anfertigt über Bedrohungssituationen, die dann ungesehen in den Akten landen. Drei Mal so viele Berichte werden angefordert. Sind also Auftragsarbeiten. Man kann sich denken, zu welchen Themen mit welchen Fragestellungen. Ob es uns darauf ankommt, Bluttaten zu verhindern, oder nur darauf, die eigene reine Weste dokumentieren zu können, entscheidet doch letztlich über Erfolg oder Misserfolg - auch der heimischen Tourismusbranche.

Gewalt oder nicht ist möglicherweise eine Frage der Ehrlichkeit. Mal Hand aufs Herz! Was passiert, wenn man den sozialen Dienst darüber informiert, dass jemand seine Umgebung jahrelang ausgiebig mobbt? Sagen wir, indem er Autos platt sticht. Dass der Typ eine Waffe zu Hause versteckt und dass er nicht alle Tassen im Schrank hat? Die Polizei wird auf Überarbeitung verweisen, der Staatsanwalt wird sich was von mangelndem öffentlichen Strafverfolgungsinteresse aus der Feder quälen und die Sache in den Schrank stecken.

Bis es knallt. Und anschließend diskutieren wir noch die Waffengesetze und eine Verschärfung zur Überwachung des Internet. Wir sprechen von einem nicht notwendig sichtbaren terroristischen Hintergrund und bauen noch ein paar Drohnen. Damit ist der Verantwortung dann Genüge getan. Psycholgoie? Alles Kappes.