nur ein Spiel

Videogames haben ja ein schlechtes Image. Eigentlich schon immer gehabt. Als Schulschießereien traurige Realität wurden, ließ sich das Elend kaum anders fassen, als die Gamerszene an sich zum Teufelswerk und damit Verursacher zu erklären. Gamer selbst fragten sich in dieser düsteren Periode häufig, ob die Richter über ihr Tun wußten, worüber sie sprachen. Mal Hand aufs Herz: wer weiß denn wirklich, was Gamer im Computer treiben? Etwa die Eltern von Zockern, wenn sie laute Geräusche aus dem Kinderzimmer hören? Oder die stets gut informierten Kreise, die nicht mur übers Gamen, sondern genauso gut auch über Kampfhunde, Asylbewerber und türkische Busunfälle Bescheid wissen, wie sie die Cholesteringefahr von Hühnereiern einschätzen können?

Ich behaupte, dass diejenigen, die seinerzeit die Spielehysterie angezettelt haben, kaum je selbst mal ein Videogame genossen oder erlitten haben, je nach Standpunkt. Es könnte gut sein, dass sich in der Angst der virtuellen Realität gegenüber letztlich auch nicht unbedingt Sachveerstand abbildet sondern die Urangst dem Unverständlichen, Virtuellen gegenüber. Wenn man nämlich die Kids zocken sieht, erleidet man immer ein zwiespältiges Unbehagen. Einerseits gruselt, WAS sie tun, andererseits aber auch, WIE sie es tun. Die Fertigkeit an sich, mit einem Spiel, einer Konsole, einer Maus, den Optionen einer Engine so viruoas umzugehen, lehrt den betrachter Furcht vor der Zukunft an sich. Denn das Virtuelle ist längst Realität. Und das wird sich auch nicht mehr umkehren.

Besonders bedrückend daran ist natürlich, dass die virtuellen Welten das Innere des Menschen nach außen kehren, und da liegt der Hase im Pfeffer. Denn das, was im Menschen vor sich geht - und nciht unbedingt nur im Spieler - ist alarmierend und beängstigend zugleich. Es ist im wahrsten Sinne ein Spiel mit dem Feuer. WEIL es virtuell ist und somit nahezu folgenlos, sind Menschen an der Konsole so ungehemmt, dass sie ihr wahres Wesen nicht verstecken zu brauchen glauben. Und dann wird gemetzelt.

Fein, aber was ist ein Kriminalroman anderes? Eintauchen in virtuelle Welten, in denen man so herrlich böse sein kann, dass man es sich sogar auf dem Cover als Autor oder Autorin selbst bescheinigen lässt. Nichts anderes tun Videogames.

Wirklich?

Nicht ganz. Es gibt nämlich haufenweise Spiele, die gerade das nicht tun. Sie reizen zum Komponieren. Minecraft zum Beispiel züchtigt die Fire-and-Forget-Destroy-Theorie der Gamerpsychologen gewaltig, denn es lässt selbst im Hardcore-Modus kaum Platz für Egoshooting-Ansätze. Diese Spiele, in denen künstliche Welten erschaffen werden, lassen kaum Spekulationen über latente Gewaltphantasie als Beweggrund der Weltflucht gelten. Die Weltflucht an sich wird zum Dämon. Angeblich können die Spieler reales von irrealem nicht mehr unterscheiden. Ich frage mich, ob wir im Zuschauermodus das könnnen.

Ist denn das, was im Computer passiert, überhaupt irreal? Und wenn ja, dann wie? Müsste man, nur als Beispiel, nicht ein virtuelles Rechtssystem schaffen, um die Irrealität aufzuwerten? Ein Rechtssystem zum Beispiel, das Daten- oder Identitätsdiebstähle ahndet, das Gewalt und Brutalität verurteilt, Shitstorms verhindert, Menschen und ihre Persönlichkeitsrechte schützt? Darf man das Virtuelle einfach kurzerhand zum Nicht-Exitstenten, also zur rechtsfreien Zone erklären? Die alte Frage ist doch: wer begeht die Tat? Derjenige, der sie erdenkt und ermöglicht oder der, der sie schließlich ausführt? Ist die Tat also vollbracht, wenn sie im Kopf oder Computer Gestalt annimmt, oder erst dann, wenn sie real vollzogen wurde?

Realität ist, dass wir das Übel hinter Attentätern in Weltanschauungen suchen, also denen, die sie vermitteln, und häufig die Ausführenden als Fehlgeleitete Fanatiker betrachten. Die Achse des Bösen ist genauso virtuell wie Thors Hammer in einer Simulation. Nun gruselt es einen erst recht. Aber wie ich meine, hauptsächlich deshalb, weil unser Bild vom Virtuellen eben nur unvollständig ist, ein Höhlengleichnis von etwas, das wir nicht fassen können. Die Ideen (Platons Urbilder) sind in uns und sie sind ihrem Wesen nach virtuell. Wenn man den Rest betrachtet, wird man entzückt sen über die menschliche Gestaltungskraft im dreidimensional Imaginären. Es gibt nämlich Philosophie im Computer, und das nicht zu knapp. Man muss nur genau hinsehen. Philosophie übrigens ohne geladene Schusswaffen.

The Stanley Parable von Davey Wreden sollte sich ansehen, wer glaubt, eine Meinung zu Videogames zu haben. Und möglicherweise zu Recht die Angst, im gehobenen Unterhaltungssektor von der virtuellen Realität überholt worden zu sein. Der Gamer im Selbstzweifel begegnet sich selbst im Computer. Die Mattscheibe ein Spiegel. Wer hätte das in der Literatur so eindringlich geschafft? Nur wenige.