besser nicht zappe(l)n
Ich lese gerade ‘Das Lavendelzimmer’ von Nina George. Traumhaft angesetzte Geschichte um einen Buchhändler auf der Seine, der die Seele seiner Leserinnen und Leser durchleuchtet, bevor er ihnen das für sie medizinisch richtige Buch verkauft. Eine sprachliche Schöpfung ersten Ranges, die den Romanbeginn durchleuchtet wie Monsieur Perdu die Leser, und seine gewaltige heilende Kraft entfaltet – mit doppelter Dosis, da der Roman ja selbst ein Buch ist und somit Hypermedizin. Als Autor verzweifelt man an solcher Literaturware mit dem Gedanken: das hättest du nie so wundervoll ...
Auf der anderen Seite die maskuline Literatur. Was entfaltet diese sensationelle Spannung, deren Wirken mann in einer Andeutung spürt (der neuen Nachbarin, die einen Tisch braucht, aus dem Lavendelzimmer), die sich dann allmählich aus der verschroben – entrückten Sichtweise des Erzählenden als einzig glaubhaft aufdrängt, schließlich das Licht abdreht und ein magisches, ungesehenes neues Universum hinterrücks erschafft, dessen Wahrheit so viel größer und umfassender ist als das des täglich Erlebten? Was ist das männliche Gegenstück zu dieser virtuosen verbalen Pinselführung? Richtig, ein Satz in Stein gemeißelt wie: ‘Der Ball ist rund’. Das maskuline Sprachuniversum braucht keine Szene mit Artisten und Virtuosen, Zauberkünstlern, geheimnisvollen Melodien und Varieté darin, es ist zwischen vier Eckfähnchen abgesteckt mit einem klaren Auftrag darin: ‘Mission to Brasil’.
Drei Worte und gleichzeitig ein in Marmor gehauenes Armutszeugnis der männlichen Sprachbegabung. Nicht aber der Phantasiebegabung, denn diese drei Worte lösen bereits alle kosmischen Gefühle aus, wie ein Heuschnupfen alle Nervenzellen der Sinneswahrnehmung beschäftigt. Würschtelpizza, eiskaltes Bier, Publicviewing, den antezipierten Schweißausbruch im Nacken beim Schwalbeelfmeter im entscheidenden Spiel, das im Sinne eines WWIII-Kampfeinsatzes zu humanitären Zwecken von einem Börsenanalysten in dessen Wortschatz begutachtet wird, während dem Zuschauer auf dem Klo nach zwei Mal fünfundvierzig Minuten Dauerspannung die Mischung aus Weizenbrause, Salsa-Chips, Dips und Spare-Rips zum zweiten Mal durch den Kopf geht. Reines uranimalisches Empfinden bis hin zum kathartischen Schreiexzess sind in diesem einen Vorwort ‘Mission to Brasil’ bereits literarisch angelegt. Eine Miniatur, die –hm– nicht im Prolog eines vierhundert Seiten Romans be-steht, sondern auf dem Deckel eines Pizzakartons aufgedruckt ist.
Man könnte diese – wie sage ich? These? Behauptung? Bestimmung? Floskel? Idotie? ... dieses Sendungsbewußtsein auch auf Partyfässchen pinseln, und das schönste aus Verlegersicht: ... sich dann den ganzen Rest des Romans auch noch schenken. Denn ab dem Anpfiff wird nur noch lauthals geschrieen, bis dass der Schweiß aus allen Poren bricht, und daran – nicht an den Apotheker auf der Seine – wird man sich noch in fünfzig Jahren erinnern. Wenn man einen Film darüber macht, der an Spannung nicht zu überbieten ist wie zum Beispiel – hm hm – ‘Das Wunder von Bern’ - ‘Der Untergang’. ‘Wie wir den Fußball nach Brasilien brachten .. und feststellten, dass es dort schon einen gab’. Einen echten Männerthriller. Dessen Finale so monumental in seiner Botschaft wäre wie sein Anfang. Tor. Ball. Los. Der Ball ist eine Scheibe. Und die ist rund. Eine Zeitscheibe. Eine, ja, Pizza ... mit Würschteln, auch Scheiben, auch rund, auch, ehhm ...
Literatur für Männer zu machen, ist, als müsste Picasso einem fast Blinden sein Kunstwerk erzählen, anstatt es malen zu dürfen, einem Blinden, der zusätzlich noch gefühlsarm ist und nahezu taub, und dessen Sprachschatz deshalb vorwiegend aus Tritten besteht, die man ihm und die er anderen in die Region unterhalb des Bauchnabels versetzt. Und die einzigen beiden Farben, die der Phantasiebehinderte kennt, wären Gelb und Rot. Lächerlich wie (Lavendelzimmer:) ein dummes, kleines Ruderboot auf dem Meer. Ohne jemanden, der es rudert. Lächerlich wie alles, was der Einfachheit halber rund ist, damit es keinen Anfang gibt und kein Ende, keine Entwicklung und keinen Grund. Weil er rund ist. Punkt.
Das beste an maskuliner Literatur, das ich in letzter Zeit gelesen habe, war der ‘Spademan’, ‘And than I thought I was a Fish’ und wie hieß der Irre vom Kiez noch(?): ‘Onno Viets’. Hoffnungsschimmer. Aber irgendwie verloren, finde ich, zwischen all den Pizzakartons mit der Missionsbotschaft auf dem Deckel. Nach dem ersten Eigentor sind die Pizzakartons ohnehin die von gestern, dann kommt Terminator, dann kommt ein neuer Krieg, ein Tsunami, ein neuer Präsident und ... dann noch drei Mal waschen, zwei Mal Zähne putzen und es ist schon wieder Fußball. Die Spannung ist zyklisch, und somit auch die Literatur. Sie kommt erst in Schwung, wenn man mit dem Schuh dagegen tritt.
Wir sind Deutschland. Vor dem Spiel ist nach dem Spiel. Noch nie hat eine europäische Mannschaft auf amerikanischem Boden eine WM gewonnen. Noch nie haben Werbetexter so eine gequirlte Scheiße auf Pizzakartons gedruckt. Vom Inhalt mal ganz abgesehen.
Ich wünsche mir eine Welt ohne Fußball. Ohne Krieg, ohne Politik, ohne Würschtelpizza
Aber: Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass das so nicht geht ...
Der Sprücheklopfer aus dem Internet postet: Habe heute nur Sachen im Supermarkt gekauft, die nicht mit Fußball beworben wurden. Zum Abendessen gibt es Klobürste mit Olivenöl
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