Kann man sich das leisten?
Man möchte gar nicht mehr schreiben. Die Ereignisse überholen dich jede Nacht. Zum dritten Mal setze ich eine Kurzgeschichte um eine syrische Ärztin an, als in Paris die Mordschwadronen loslegen.
Als Europäer empfindet man naive Begrenztheit zur eigenen Darstellungsfähigkeit politisch-sozialer Vorgänge in der Welt. Als Schriftsteller will man sie nicht ausklammern. Beides geht nicht unter einen Hut.
Macht man sich schuldig, indem man Themen vermeidet, die zur großen Ignoranz der Masse beitragen angesichts der Schrecknisse dessen, was täglich WOANDERS vor sich geht? Oder belädt man sich umgekehrt mit dem Übel der Unzulänglichkeit, wenn man ein Thema bearbeitet und noch in der Bearbeitung vom Ernst der Lage eingeholt wird?
Arrogant, wer die Herausforderung annimmt, ignorant, wer es lässt. Es ist ein Ausnahmezustand nicht nur für den Reiseverkehr, auch für die Seele.
Wie viel unsägliches Leid wird in dieser Welt von einem Ort zum anderen gekarrt, hin und her wie atomarer Abfall, und schließlich über IRGENDWEM ausgegossen, weil der Verursacher nicht bestimmt werden kann? Welchen Anteil haben wir daran, wenn wir Geschichten erfinden und damit reale Probleme (falsch?) verorten?
Darf man angesichts solch roher Gewalt noch über Ursachen schreiben? Und welchen Sinn hätte Ursachenforschung? Hilft sie den Hinterbliebenen? Also auch uns ..?
Ich frage mich, was ein Attentäter oder der Hintermann eines Attentäters am Tag nach der Tat empfindet. Wenn schon der Leser der Zeitungsmeldung über das Attentat den schalen Geschmack der Untat auf der Zunge hat - einer Sache, auf die nun wirklich niemand stolz sein kann.
Also: was empfindet jemand über sein Wirken in der Welt? Genugtuung? Zufriedenheit? Das Glück des Handwerkers, der ein Meisterwerk vollbrachte? Oder des Bauern, der eine besonders reiche Ernte einfuhr? Und wie fühlen wir uns angesichts des Irrsins, der da vor sich geht? Freuen wir uns, die Hände in gnädiger Unschuld waschen zu können, oder sind wir zufrieden wie ein Fußballkapitän, der supper gute Reaktionen beim Veranstalter eines Länderspiels lobt? Nämlich, das Ding unbeirrt zu Ende zu spielen.
Unsere Gedanken sind jetzt natürlich bei ...? Kann man sich das leisten? Ich frage mich: müssen wir nach so einer Katastrophe nicht IRGENDETWAS tun? Ich meine irgendetwas anderes, als hinter einem Mikrofon Betroffenheit zu simulieren und anschließend neue, noch bessere Gewehre zu kaufen? Und: Kann man überhaupt irgendetwas sinnvolles tun? Haben wir Optionen? Ehrlich gesagt, sieht es bei mir als Kreativem in dieser Hinsicht ziemlich mau aus. Und das macht nun wirklich betroffen ...
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