Wer Nase?
Ich kannte das bisher nur aus Spanien. Die Fahrt mit dem Überlandbus. Hier einer von der Post. Sie sind gelb und tragen Posthörnchen und erinnern an Gauss und Humboldt in Kehlmanns Roman. Entsprechend werben sie auch mit dem Slogan Postkutsche mit 440 PS. Bin mal von Sevilla nach Málaga mit solch einem Ding gefahren, kann sein, auch mit einem Greyhound in den Staaten. Aus hiesigen Breiten war mir das Phänomen unbekannt.
Es gibt immer wieder Momente, in denen einen das Leben mit Anlauf überholt. Als wäre man auf dem Sportplatz, drehte vergnügt seine Bahnen und erkenne am Luftzug, dass man vom Rest der Sportler, mit denen zusammen man gestartet ist, überrundet würde. So in etwa das Gefühl, wenn man in einen der Busbahnhöfe einbiegt. Es sind kaum noch Haltestellen, es sind Ufolandeplätze, Monumente einer neuartigen Fortbewegungswelle, die sich tsunamiartig auf der lauen See der Bahnstreiks entwickelt haben muss und nun über Land schwappt. Flixbus und Postkutsche und Busreisen-D-E von jedem Anbieter zu jedem Preis bis hinein in die türkischstämmige Mitbürgerschaft. Ihre Ziele überall da, wo man auf Asphalt oder mit Fähren hingelangt.
Unser Gefährt arbeitete sich an einem neuralgischen Stau vorbei durchs Maintal von Metropole zu Metropole und ließ dabei kein Käffchen aus. WLAN, Kaffeemaschine und Videostream an Bord, Rückwärtsklo und Anschnallpflicht, drinnen zehn verstreute Passagiere, unter uns Gepäck bis hin zum Trekkingrad. Es geht durch Kreisverkehre und Fachwerk oder verregnete Autobahnabschnitte quer durch alle Herzogtümer in die große Stadt. 'Drogen, Farben, Samen' lese ich von einem Häusle ab, eine Künstlerkarriere.
Freunde besuchen. Auch eine Künstlerkarriere. Im Gepäck schlechtes Gewissen, und man weiß nicht, wofür. Die Welt ist an mir vorbei gerast. Und ich habe es nicht bemerkt. Landleben hängt ab. Auch dann, wenn man nicht nur abhängt. Menschen haben Spass an Motorgeräten. Sie dienen uns zum Etablieren einer Verbindung von hier nach dort. Arbeitsplatz und Arbeitgeber, Freund und Freundin, Reisender und Reiseziel – ein Querschnitt durch den Fahrgastraum. Am Land dienen sie vor allem dazu, im Kreis zu fahren; überm Rasen zum Beispiel oder im Laub, durch Hecken oder sich winters durch den Schnee zu fräsen und durch Bäume.
Back to nature wird im Großstadtdschungel als erstes containert, um die Lebensmittel aus dem Wald zu holen. Man sitzt ums Lagerfeuer, bespricht alte Abenteuer und rüstet das Stadtrad Susi zur Abfallschlacht. Auf zu Lidl, Tengelmann und Aldi, einkaufen um halb vier morgens zum Sonnenaufgang; im Kopf zwei Tütchen Gras und drei Gläser Wein, werden voller Neugier darauf, was die Zivilisation am Wochenende ausgesondert hat, hinterm Supermarkt die Mülltonnendeckel gehoben.
Streng verboten, denn der Müll gehört dem Müllmann, sofern vorher eine eindeutige Willensbekundung des Entsorgers erfolgte. Bis dahin gehört der 'Abfall' dem Verursacher, rechtmäßiger Eigentümer dessen, was er nicht mehr will. Und unsere Zivilisation nicht braucht. 300 kg Lebensmittel werden pro Stunde in den Eimer getreten, heißt es. Man containert nicht aus Angst vorm großen Hunger, man tut dies im Gedächtnis an die Ressurce Lebensmittel, aus Spaß an der Sache, Überzeugung oder deshalb, weil Nahrungsmittel einfach nicht in den Müll gehören.
Drei Dutzend Eier, von denen gerade mal vier zerbrochen sind, Joghurt einer exotischen Geschmacksrichtung, Mairüben gebündelt, Salat mit einer einsamen Schnecke dran, Fertiggerichte aus Ländern, die kein Mensch kennt, Brot vom Vortag, Champignons, Tomaten, Frühlingszwiebeln. Pasta, die sich keinen Tag länger als zwei Jahre hält, Cocktailsoßen, Bananen mit bräunlicher Schale, Forellenfilets. Das alles darf der Filialleiter nicht den Tafeln geben, denn die Haltbarkeit ist europaweit vorgeschrieben. Das nehmen wir mal mit. Wir wollen ja schließlich keine Datumsstempel lesen, sondern was leckeres essen. Heraus kommt ein Menü und mehrere, die man über das Wochenende verteilt noch futtern wird. So etwa der Lifestyle.
Nein, ich spreche hier nicht von der juvenilen Variante der Obdachlosigkeit, sondern von einem Szenewochenende unter erfolgreichen Akademikern. Tagesüber Highend-Technologie, abends die missa in mol, nachts der kleine Protest an der Mülltonne. Eine Küche mit eigenen Reizen, denn man isst gutes Gewissen im Schatten der zarten Angst vor Entdeckung einer strafbaren Handlung im Sinne der Menschlichkeit.
Dann die Ü-50-Party, Sonnenaufgang im Frack, gegen Mittag auf fetten Schlappen mit Hund und Rad durch den Wald, um am Feldrand auf einer Bank die schönen, bunten Camels zu rauchen bei smallem Talk über den Roggenfänger, Steinberg und T.C. Boyles Einstellung zu Drogen. Farben und Samen liegen sozusagen in der Luft. Und ein Gespräch über das Guerilla Nitting. Der Baum im Garten könnte ein wenig Farbe vertragen, die Nachbarin aber nicht. Es ist wie beim Surfen. Nicht jeder ist auf, manche sind vor, manche hinter den Wellen. Und manche liegen staunend am Strand und machen sich Sorgen. Um Anstand und Sauberkeit zum Beispiel.
Ich mache mir Gedanken um die Gedanken, die ich mir mache. Reflexionen über das Reflektieren und möglicherweise ein Zuviel davon. Contentmanagement im Leben.
Der Regen hört auf, Sommeranfang, Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt. Busreise zurück, Motorrad ohne Blinker und funzeligem Licht. Gut gewässerte Elektrik mit Zündaussetzern. Noch schnell beim Mäckes vorbei auf einen Becher Pappkaffee, um schließlich von einer Mail zu erfahren, dass der Termin für eine Kurzgeschichte verbaselt ist. Zwei Tage über das Haltbarkeitsdatum. Und das Strickzeug ist noch immer nicht am Baum.
Dafür kenne ich jetzt Pjotr, Simone und Elisabeth. Vielleicht auch ein bisschen mehr mich selbst, und die beste Sitzposition im Dreiachser. Kann man nur jedem empfehlen. Nachts beim Ankommwein schlottere ich mir noch eine Zigarette von den violetten Kamelen rein und denke an Eastwoods Worte, die er Tuco anvertraut: Hier, nimm mal einen kräftigen Zug, dann kannst du gut kacken. Manchmal frage ich mich, wo und ob ich im Leben mal falsch abgebogen bin; oder bei allem doch grundrichtig?? Who nose
Hier ist die aktuelle Oma
in den
krummen Hunden, Katzwinkel und Schabernack
... und hier steht, wie Lesen geht‰