Übersetzer sind Verräter am Text

Das vielleicht spannendste Kapitel des kleinen Bändchens zur spanischen Lyrik von der Renaissance bis zum späten 19. Jahrhundert ist das Vorwort, in dem die Verbindung der spanischen Lyrik mit der italienischen Renaissance, insbesondere in der Verzweigung von Heldenepik und unerfüllt schmachtender Liebe aufgezeigt wird. Die Schlacht von Lepanto und die Schmacht eines Don Quichotte bewirkten sicherlich den Duktus, dessen unübersehbare Eigenheit in der deutschen Übersetzung einfach nur unzureichend wieder gegeben werden kann. Darüber das Vorwort:

'Jeder Übersetzer ist ein Verräter am Originaltext'. Man hätte es nicht klarer einem solchen Band voranstellen können. Es yelo abrasador, es fuego helado, es herida que duele y no se siente … selbst wer den Wortwert nicht kennt, hört im Rhythmischen sofort die Distanz zur Übersetzung: Sengendes Eis, eisiges Feuer, schmerzende Wunde, die man nicht spürt. Das Spanische ist reich an harten Lauten, deren Kraft zur Spaltung von Silben nach kämpferischen Themen schreit. Cyrano aus dem Französischen überträgt sich dagegen mit all seinem Pathos fast spielerisch in deutsche Sprache. 'Er kommt, mir Marmorstiefel anzulegen, Handschuh von Blei …'

Das Vorwort zur Übersetzung nennt eindrücklich das Beispiel: gib mir, Jarifa, gib mir die Hand – als wörtliche, aber gegen den intertextuellen Zusammenhang der in der Entstehungszeit mitschwingenden Don Giovanni – Motivik verstoßenden Übersetzung der Verse: Trae, Jarifa, trae tu mano …, die im Schatten von 'Reich mir die Hand, mein Leben' schmiegsamer lauten sollte: Reich, Jarifa, mir die Hand.

Poesie schwingt in den Hüften. Wie überträgt man romantische Gedichte, ohne zotisch zu werden? Die Zielsprache gibt wohl dazu die Antwort. Man kann Lyrik nicht übersetzen. Einmal ein Gedicht von Lorca gelesen und mir gedacht: das darf man nicht übersetzen. Vielleicht zusammen fassen. Oder übertragen.

Aber ich will nicht auf die Übersetzung hinaus. Über-setzen hat ja im Deutschen den schönen Anklang vom Fährmann, der Tote der Willkür des Styx entreißend zu neuen, grauen Ufern aufbricht. Das Einholen der Wörter in den Verstand, der nicht fassen kann, ist Seglerlatein wie das Hissen von Gewebe, das die Zeit längst außer Form gerissen hat. Wer kann einen Text, der heute geschrieben wird, morgen noch verstehen? Und seine Worte, die sich heute bilden, morgen vergehen, und übermorgen Hülsen sind, in die jeder Trottel seine eigene Suppe füllt?

Die Dirne. Was bedeutet das Wort unterm Birnbaum, im Hafen, im späten Mittelalter oder heute? Da kommt Gott ins Spiel. Der hat ja bekanntlich die Sprachen verwirrt und damit der Verwirrung des Menschen auch insgesamt Vorschub geleistet. Vor langer Zeit unternahm ich mal den schrägen Versuch, die Bibel so richtig fehl zu interpretieren. Leider nicht weit gekommen, denn der Stoff, an dem man nagt, ist dick wie Tempelfundamente und bröselig wie Schalentiere aus dem Klimakterium. Emm.

Nicht unbedingt eine Zote, denn der Widerstand (ist zwecklos) kommt aus allen, auch genderspezifischen und altersadäquaten Richtungen. Sprich: man redet besser nicht darüber. Ich tue es trotzdem: Gott schafft an jedem Tag seine Dinge. Zum Beispiel die Schüsseln, deren Hälften je oben und unten sind. Dann betrachtet er sein Werk und sagt: Ci tow. Hebräisch: Ja, gut.

Hebräisch?

Wenn ich mein Lexikon so richtig in Verlegenheit bringe, könnte Ci tow auch heißen: denn sie (oder er oder es) war schön. Ein Nebensatz! Gott begutachtet sein Werk nicht nach der Schöpfung, sondern er schaut es an. Er freut sich am Anblick, DENN ES IST SCHÖN! Sofort wird Gott ein Anderer. Er ist nicht der Ingenieur, der einem inneren Plan folgend Dinge physisch umsetzt, er ist ein Künstler.

Hm. Menschenähnlich? Kann das sein?

Da ist Gott doch besser ein unbezahlter Ingenieur. Warum diese Vorstellung? Weil sie unserer heutigen Erfahrung entspricht? Weil jemand sie in der Septuaginta so vorgeprägt hat? Weil sie im ORIGINAL enthalten ist? Oder einfach nur deshalb, weil wir kein Hebräisch verstehen und auch keine indischen Sprachen, aus denen der Mythos möglicherweise schon entlehnt worden ist? Oder einfach deshalb, weil der Eindruck der Hermetizität erhalten bleiben muss? Siebzig Gelehrte übersetzten die Bibel unabhängig voneinander, und alle Übersetzungen stimmten auf Punkt und Komma überein. (?!)

Konstantin musste es wissen, nach ihm ist eine Stadt benannt. Sein Glaube ruht in der Hagia Sofia, der heiligen Weisheit, und darüber wehen die Flaggen Mohammeds. Und der ist nicht als Lateiner oder Hebraist bekannt. Dafür aber als Prophet, dessen Weisheit sich auf uns alle senken möge. Was wird Gott in einigen Jahren als 'Ja, gut' bezeichnen? Das Internet?

Schon reckt seine Lanze
der Araber, grausam, schneidet die Lüfte
und ruft zum Kampf.
Zahllose Flotten
seh ich sich sammeln.

König Roderich verliert sein Reich einer misshandelten Frau wegen an die Mauren. Troja lässt grüßen. Und hundert Seiten später gibt es wieder einen Rodrigo (Rodrigo Diaz de Vivar, El Cid, man stelle sich Charlton Heston vor, auf Spanisch Tscharleton Estonne und seine Jimena, hollywoodianisch zu: Esophia Elorena), der die Scharte auswetzt:

Y es fama, que al la bajada
juró por la luz el Cid
de su vencedora espada,
de no quitar la celada
hasta que gane a Madrid.

Da vollendet sich der Kreis. Der Spanier kämpft edel und mutig auf verlorenem Posten seine eigene Sprache als letztes Zeugnis der römischen Bewaffnung einer Garnison vom Betis allem trotzdem, was die Zukunft bringt, nur der Liebe nicht. Und das beeindruckt gewaltig.

Mag doch von goldnen Tellern
der Prinz wohl tausend Sorgen essen,
sind nur goldne Pillen;
ich an meinem kargen Tisch
will nicht mehr als eine Wurst,
die auf dem Roste platzt.
[Luiz de Góngora]

Am Ende muss man vielleicht noch einen Blick auf die lyrischen Titel werfen:

Versuch, die Schmeicheleien zu entkräften, die die Wahrheit, die sie als Leidenschaft erkennt, in ein Bildnis der Dichterin schrieb
-
Procura desmentir los elogios que a un retrato de la poetisa inscribió la verdad, que llama pasión

Übersetzung, würde ich sagen: eins zu eins.